Primärprävention
4. Setting-Ansatz nach § 20 Abs. 1 SGB V

 

4 .1 Einleitung

Die alltäglichen Lebens-, Lern- und Arbeitsbedingungen üben einen erheblichen Einfluss auf die gesundheitliche Entwicklung der Menschen aus und prägen gesundheitsbezogene Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen. Deshalb sind für die gesundheitliche Entwicklung Einzelner primär solche Interventionen erfolgversprechend, die vor allem auf eine gesundheitsförderliche Gestaltung und Beeinflussung von Bedingungen in der jeweiligen Lebenswelt (Setting) gerichtet sind. Settings sind für die Gesundheit bedeutsame, abgrenzbare soziale Systeme insbesondere des Lernens, Arbeitens und Wohnens, in denen Menschen große Teile ihrer Zeit verbringen 23 . In diesem Sinne stellen insbesondere Kitas, Schulen und Ausbildungseinrichtungen, Betriebe und Kommunen/Stadtteile/ländlicher Raum sowie Einrichtungen der (pflegerischen) Langzeitversorgung 24 Settings für die Gesundheitsförderung dar. Die Einrichtungen der Freizeitgestaltung einschließlich des Sports und des Spielens sind hierbei wichtige Partner insbesondere auf kommunaler Ebene. Bei Leistungen nach dem Setting-Ansatz handelt es sich um primärpräventive und gesundheitsfördernde Interventionen, die sich im Sinne aufsuchender Information und Beratung an Lebenswelten richten und dabei sowohl die gesundheitlichen Rahmenbedingungen als auch gesundheitlichen Kompetenzen von Einzelnen weiterentwickeln.

Die Ausführungen zum Setting-Ansatz in diesem Kapitel beziehen sich auf alle Settings außer auf das Setting Betrieb; die betriebliche Gesundheitsförderung wird in Kapitel 6 beschrieben.

Ein besonderes Augenmerk liegt – auch im Hinblick auf den Gesetzesauftrag nach § 20 Abs. 1 Satz 2 SGB V – auf der Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheits- chancen. Soziale Benachteiligungen können sich insbesondere aus einem niedrigen Bildungsstand, einer niedrigen beruflichen Stellung oder Erwerbslosigkeit sowie einem geringen Einkommen ergeben. Sozial benachteiligte Zielgruppen sind meist höheren gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt und verfügen gleichzeitig über geringere Bewältigungsressourcen und höhere Zugangsbarrieren als sozial Bessergestellte 25 . Auch Menschen mit Migrationshintergrund sowie Versicherte im ländlichen Raum haben einen erschwerten Zugang zu Präventionsleistungen. Mit Interventionen in Settings werden kontraproduktive Stigmatisierungen vermieden, da hier nicht ausschließlich sozial Benachteiligte anzutreffen sind. Zur Erreichung sozial benachteiligter Zielgruppen geeignete Settings sind insbesondere:
• Kindergärten/Kindertagesstätten,
• Grund-/Haupt-/Realschulen (samt zusammenfassenden Schulformen wie z. B. Mittelschulen/Gesamtschulen), Förderschulen sowie Berufsschulen,
• Einrichtungen der (pflegerischen) Langzeitversorgung,
• Kommunen mit niedrigem durchschnittlichem Pro-Kopf-Einkommen bzw. hohem Anteil an Arbeitslosen, Empfänger inne n/Empfängern von Grundsicherung nach SGB II oder Migrant innen/Migranten sowie Kommunen im ländlichen Raum (insbesondere Gebiete mit schlechter Infrastruktur und einem hohen Anteil älterer Menschen).

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23 Vgl. Rosenbrock, R., Hartung, S. (2011): Settingansatz/Lebensweltansatz. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.): Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden, Gamburg, 497-500. Empfehlungen der WHO (1999): Gesundheit21. Eine Einführung zum Rahmenkonzept „Gesundheit für alle“ für die Europäische Region der WHO. Europäische Schriftenreihe „Gesundheit für alle“, Nr. 6.

24 Hierzu zählen insbesondere ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen. Bei Leistungen nach dem Setting-Ansatz in diesen Einrichtungen stehen nicht die Beschäftigten, sondern die Nutzer/innen bzw. Bewohner/innen im Fokus. Dabei sind stets die jeweils gesetzlich geregelten (Finanzierungs-)Zuständigkeiten, wie z. B. nach dem Pflegeversicherungs- und Sozialhilferecht zu berücksichtigen. An Beschäftigte gerichtete Leistungen sind der betrieblichen Gesundheitsförderung zugeordnet.

25 Über Zusammenhänge zwischen Sozialstatus und Gesundheitszustand vgl. Lampert, T., Kroll, L.E., von der Lippe, E., Müters, S. & Stolzenberg, H. (2013): Sozioökonomischer Status und Gesundheit. Ergebnisse der Studie zur Gesundheit in Deutschland (DEGS1). In: Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung/Gesundheitsschutz, Bd. 56, Heft 5/6, 2013, 814-821. GBE kompakt 5/2010 (RKI Hrsg.): Armut und Gesundheit, Berlin. Siegrist, S.& Marmot, M. (Hrsg.) (2008): Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Erklärungsansätze und gesundheitspolitische Folgerungen, Bern. Sachverständigenrat für die Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2005): Koordination und Qualität im Gesundheitswesen. Gutachten 2005. Kapitel 3, 115-180. Mielck, A (2000): Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Empirische Ergebnisse, Erklärungsansätze, Interventionsmöglichkeiten, Bern.

 

4.2 Grundverständnis

Gesundheitsförderung nach dem Setting-Ansatz zielt darauf ab, unter möglichst direkter und kontinuierlicher Beteiligung der Betroffenen (Partizipation) die jeweiligen Gesundheitspotenziale/ -risiken im Setting zu ermitteln und einen Prozess geplanter organisatorischer Veränderungen anzuregen und zu unterstützen. Gesundheit soll als Leitbild in Settings etabliert werden. Das schließt die Integration von Gesundheitsförderung, -bildung und -erziehung in die Prozesse des Alltags ein. Verknüpft mit dem Bemühen, Gesundheit als Organisationsprinzip in Settings zu integrieren, sollte die persönliche Handlungsfähigkeit Einzelner für die Gestaltung ihrer gesundheitlichen Lebensbedingungen gestärkt werden, um sie zu gesundheitsgerechtem Verhalten zu motivieren und zu befähigen (Autonomie und Empowerment). Der Setting-Ansatz ist geprägt durch eine enge Verknüpfung von Interventionen, die sowohl auf die Rahmenbedingungen (Verhältnisse) im Setting als auch auf das gesundheitsbezogene Verhalten Einzelner gerichtet sind 26 (vgl. Abb. 2). Der Gesundheitsförderungsprozess ist als Lernzyklus zu konzipieren, um möglichst langfristige positive Wirkungen zu erzielen. Es sollen Prozesse initiiert werden, die unter aktiver Mitwirkung aller Beteiligten zu einer Verbesserung der gesundheitlichen Situation führen sollen.

Ein zentrales Ziel ist die nachhaltige Verankerung von Gesundheitsförderung in Lebenswelten. Dies setzt voraus, dass Gesundheitsförderung nach dem Setting-Ansatz als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden und gestaltet sowie in politikfeldübergreifende gesundheitsförderliche Strategien und Vernetzungsprozesse zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Organisationen, Institutionen oder informellen Gruppen eingebunden wird. Die originär zuständigen Träger müssen sich mit ihren jeweiligen Kompetenzen und finanziellen wie personellen Ressourcen an der Prävention und Gesundheitsförderung beteiligen. Maßnahmen in Lebenswelten sollen möglichst in lebensphasenübergreifende Strategien (lebensphasen- und institutionsübergreifende „Präventionsketten“ 27 ) eingebettet sein. Dadurch lassen sich Angebote und Aktivitäten der verschiedenen Träger über Ressortgrenzen hinweg aufeinander abstimmen und bedarfsgerechte Unterstützungsangebote, z. B. von der Schwangerschaft bzw. Geburt bis zur Berufsausbildung, sicherstellen 28 .

Gesetzliche Krankenkassen initiieren, unterstützen und begleiten Präventions- und Gesundheitsförderungsprojekte in Lebenswelten zeitlich befristet im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe. Sie sind dabei nicht alleinige Finanzierungsträger und kompensieren nicht einen eventuellen Rückzug anderer primär verantwortlicher Akteure. Notwendig sind abgestimmte Vorgehensweisen und Kooperationen der Krankenkassen mit den in der Prävention und Gesundheitsförderung verantwortlichen Partnerinnen und Partnern, insbesondere den Einrichtungsträgern sowie den für das Setting politisch Verantwortlichen. Hierbei sollte an die Empfehlung der kommunalen Spitzenverbände mit der GKV zur Zusammenarbeit in Primärprävention und Gesundheitsförderung in der Kommune sowie bedarfsbezogen zum Thema Arbeitslosigkeit und Gesundheit an die Empfehlung von Bundesagentur für Arbeit und GKV angeknüpft werden 29 .

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26 Vgl. auch Bundesvereinigung Prävention und Gesundheits- förderung e. V. (2013): Prinzipien guter Prävention und Gesundheitsförderung. Bonn.

27 Bei Präventionsketten handelt es sich um kommunale, le- bensphasenübergreifende Gesundheitsstrategien, die die Voraussetzungen für ein möglichst langes und gesundes Leben für alle Menschen der Kommune verbessern, unab- hängig von der jeweiligen sozialen Lage. Die Gesundheits- strategien schaffen den Rahmen, um die auf kommunaler Ebene verfügbaren Unterstützungsangebote öffentlicher und privater Träger zusammenzuführen und sie über Altersgruppen und Lebensphasen hinweg aufeinander abzustimmen. Ziel ist auch, die verfügbaren Mittel wir- kungsvoller einzusetzen (s. http://www.gesundheitliche- chancengleichheit.de „Prävention im Lebenslauf“).

28 Positionspapier des GKV-Spitzenverbandes (2013): Prävention und Gesundheitsförderung weiterentwickeln. Vgl. auch Bundesvereinigung Prävention und Gesund- heitsförderung (2013): Potenzial Gesundheit. Strategien zur Weiterentwicklung von Gesundheitsförderung und Prävention in der 18. Legislaturperiode aus Sicht der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e. V. (BVPG).

29 Empfehlung der kommunalen Spitzenverbände und der gesetzlichen Krankenversicherung zur Zusammenarbeit im Bereich Primärprävention und Gesundheitsförderung in der Kommune, Mai 2013. Empfehlung zur Zusammen- arbeit zwischen der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zum Thema Arbeitslosigkeit und Gesundheit, Februar 2012 (beide Empfehlungen im Internet erhältlich unter http://www.gkv-spitzenverband.de in der Rubrik „Krankenv ersicherung“, „Prävention, Selbsthilfe, Bera- tung“, „Prävention und betriebliche Gesundheitsförde- rung“, „Leitfaden Prävention“).

 

Abb. 2: Ansätze und Zugangswege


Kombination
von

verhältnispräventiven Maßnahmen

z. B.
- Bedarfsermittlung
- Beratung zur Umgestaltung z. B. der Gemeinschaftsverpflegung
- Multiplikator/innenschulung
- Vernetzung mit anderen Einrichtungen in der Region

und
verhältnispräventiven Maßnahmen

z. B.
- Bewegungsangebote
- Ernährungsaufklärung
- Training sozial-emotionaler Kompetenzen
- Aufklärung zu Suchtgefahren


4.3 Der Gesundheitsförderungsprozess im Setting-Ansatz

Gesundheitsförderung in nichtbetrieblichen Lebenswelten stellt einen Prozess dar, der die Elemente Bedarfsermittlung einschließlich vorhandener Risiken und Potenziale, eine daraus abgeleitete Zielbestimmung und Entwicklung von Vorschlägen und Maßnahmen zur Verbesserung gesundheitsrelevanter Verhältnisse und Verhaltensweisen sowie die Unterstützung von deren Umsetzung, jeweils unter Beteiligung der im Setting befindlichen Menschen und den im Setting Verantwortlichen, umfasst. Bei einer nachhaltigen Etablierung von Gesundheitsförderung im Setting wiederholt sich dieser Prozess im Sinne eines Lernzyklus: An die Umsetzung schließt sich wiederum eine Analysephase an, in der die Ergebnisse der bereits durchgeführten Maßnahmen bewertet werden, um darauf aufbauend weitere Maßnahmen zu erarbeiten und umzusetzen (vgl. Abb. 3).

Der Gesundheitsförderungsprozess gliedert sich in die Schritte „Vorbereitung“, „Analyse“, „Maßnahmeplanung“, „Umsetzung“ und „Evaluation“ 30 . Die Sensibilisierung aller Beteiligten für die Gesundheitsförderung sowie die interne Öffentlichkeitsarbeit stellen kontinuierliche Aufgaben während des gesamten Prozesses dar.

1. Vorbereitungsphase:

Durch persönliche und/ oder mediengestützte Information und Beratung unterstützen die Krankenkassen das Interesse der im Setting Verantwortlichen für Gesundheitsförderung. In der persönlichen Beratung können interessierte Setting-Verantwortliche für nachhaltige Gesundheit im Setting sensibilisiert, und es kann ein gemeinsames Verständnis von Gesundheitsförderung nach dem Setting-Ansatz vorbereitet werden. Am Ende der Vorbereitungsphase steht die Grundsatzentscheidung, überhaupt in einen Gesundheitsförderungsprozess einzutreten.

2. Nutzung/Aufbau von Strukturen:

Zu Beginn von Maßnahmen der Gesundheitsförderung im Setting ist es wichtig, die relevanten Akteure zusammenzubringen. Dabei wird empfohlen, dass Krankenkassen sich möglichst in bereits vorhandene Netzwerke und Strukturen einbringen bzw. bereits aktive Partnerinnen und Partner mit einbeziehen, sodass ein untereinander abgestimmtes Handeln – am besten innerhalb einer integrierten kommunalen Gesamtstrategie – erfolgen kann. Das schließt die Nutzung bereits vorhandener Strukturen kassenartenübergreifender Organisationen (Auswahl und Begleitung geeigneter Projekte) und der Qualitätssicherung ein 31 .

Es empfiehlt sich, ein Steuerungsgremium zu bilden, welches den Gesamtprozess steuert und koordiniert. Dabei sind die Möglichkeiten einer Verstetigung und Sicherung der Nachhaltigkeit stets zu berücksichtigen. Im Vorfeld der Maßnahmen sollte im Steuerungsgremium ein gemeinsames, von allen getragenes Grundverständnis von Gesundheitsförderung im Setting sowie ein grundsätzliches Einvernehmen über das weitere Vorgehen entwickelt werden.

3. Analyse:

Ziel dieser Phase ist die Ermittlung des Handlungsbedarfs durch Erhebung der gesundheitlichen Situation im Setting einschließlich Risiken und Potenzialen. Für das Setting als Ganzes, die einzelnen Settingbereiche und Zielgruppen sollen die gesundheitliche Situation, Veränderungsbedarfe und -potenziale, gesundheitliche Belastungsschwerpunkte sowie Ressourcen möglichst systematisch ermittelt werden. Hierfür bietet es sich an, zunächst die vorhandenen Erkenntnisse über die gesundheitlichen Bedingungen (z. B. aus der regionalen/kommunalen Gesundheitsberichterstattung) zusammenzutragen und gemeinsam im Steuerungsgremium auszuwerten. Geeignete Analyseinstrumente zur Erfas- sung gesundheitlicher Risiken und Potenziale sind u. a. Settingbegehungen, standardisierte Zielgruppenbefragungen und beteiligungsorientierte Verfahren, wie z. B. Gesundheitszirkel.

4. Maßnahmenplanung:

Das Steuerungsgremium interpretiert und bewertet die gesammelten Informationen und leitet daraus Interventionsziele ab. Diese werden in Abstimmung priorisiert und fließen in einen Maßnahmenplan für die einzelnen Handlungsbereiche und Personengruppen ein. Dieser Maßnahmenplan sollte sowohl verhaltens- als auch verhältnisbezogene Maßnahmen enthalten und neben der Reduzierung von Risiken auch die Stärkung von Ressourcen der Zielgruppen vorsehen. Er bringt die Maßnahmen nach Priorität und Machbarkeit in eine Reihenfolge und legt die Rollen und Verantwortlichkeiten von Akteuren, Kooperationspartnerinnen/Kooperationspartnern sowie Finanziers für die Gestaltung der einzelnen Interventionen und Interventionsschritte inner- und außerhalb des Settings fest. Der Maßnahmenplan enthält zudem im Rahmen der Qualitätssicherung die in Abstimmung getroffenen (Zwischen-)Ergebnisparameter und Bewertungsmaßstäbe von Interventionen sowie Routinen für die Dokumentation der Maßnahmen. Ferner sind darin die Zeitplanung und einzelne Fristen festgelegt. Das Steuerungsgremium wirkt auf die Realisierung des Plans hin.

5. Umsetzung:

Die von den Projektverantwortlichen/vom Steuerungsgremium beschlossenen verhältnis- und verhaltenspräventiven Maßnahmen werden entsprechend dem Maßnahmenplan schrittweise umgesetzt.

6. Evaluation:

Es wird empfohlen, eine Struktur-, Prozess- und Ergebnisevaluation – auch unter dem Gesichtspunkt der Verstetigung und Nachhaltigkeit durchzuführen. Sie umfasst die regelmäßige Dokumentation und Reflexion der Umsetzung von Interventionen anhand festgelegter Routinen sowie die Struktur-, Prozess- und Ergebnisevaluation anhand wissenschaftlicher Methoden und Instrumente 32 . Die Nutzung der Ergebnisse kann für die Bestimmung des Handlungsbedarfs im folgenden Zyklus genutzt werden.

Durchgängiges partizipatives Erfordernis:
Beteiligungsorientierte Methoden, wie z. B. Gesundheitszirkel und -werkstätten, sind geeignete Instrumente sowohl zur Analyse, Maßnahmenplanung und Umsetzung als auch zur Evaluation. Ferner ist die Weiterentwicklung von gesundheitlichen Kompetenzen der Zielgruppen (Empowerment) in allen Phasen des Gesundheitsförderungsprozesses empfehlenswert.

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30 Qualitätskriterien aller Schritte im settingbezogenen Gesundheitsförderungsprozess hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) am Beispiel von Maßnahmen der Übergewichtsprävention bei Kindern und Jugendlichen beschrieben: BZgA (2010). Qualitätskriterien für Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Primärprävention von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen. Köln.

31 Hierzu haben die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung e. V. (BVPG) und die Landesvereinigungen für Gesundheit in Zusammenarbeit mit den Verbänden der Krankenkassen auf Bundesebene und weiteren Kooperationspartnern ein bundesweites Netzwerk zur Dokumentation und partizipativen Qualitätsentwicklung von Projekten der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten sowie in den Bundesländern „Koordinierungsstellen Gesundheitliche Chancengleichheit“ zur Unterstützung vor Ort aufgebaut; vgl. Internet: http://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de. Diese Struk- turbildung ist eine Gemeinschaftsinitiative von GKV und öffentlicher Hand im Rahmen der primären Prävention.

32 S. auch Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (2012): Qualitätssicherung von Projekten zur Gesundheitsförderung in Settings. Reihe: Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung. Köln.

 


Abb . 3: Der Gesundheitsförderungsprozess im Setting-Ansatz

Kontinuierliche Sensibilisierung und interne Öffentlichkeitsarbeit
Vorbereitungs­phase
Nutzung / Aufbau von Strukturen
Analyse
Maßnahmen­planung
Umsetzung
Evaluation

 

Information und Beratung der im Setting Verantwortlichen

 

Sensibilisierung und Motivierung der im Setting Verantwortlichen

 

Entscheidung zum Einstieg in einen Gesundheitsförde­rungsprozess
Auftragsklärung /grundsätzliche Zielsetzung

 

Vernetzung mit externen und internen Akteuren

 

Möglichst Nutzung vorhandener Strukturen kassenartenüber­greifender Strukturen

 

Aufbau eines Steuerungsgremiums

 

Sicherung von Nachhaltigkeit, Verstetigung
Analysen zur Ermittlung von gesundheitlichen Belastungsschwer­punkten im Setting, Veränderungsbedarf / -potenziale bei Betroffenen

 

Analysen von Ressourcen
Zielkonkretisierung, Priorisierung von Zielen, Einigung über (Zwischen-) Parameter / Bewertungsmaß­stäbe

 

Analyse von Ressourcen
Verhältnispräventive Maßnahmen, z. B. organisatorische Maßnahmen, strukturelle oder gestalterische Veränderungen, Informationsfluss

 

Verhaltenspräventive Maßnahmen, z. B. Bewegung, Ernährung, Stress
Strukturevaluation

 

Prozessevaluation: Begleitende Bewertung der Durchführung

 

Ergebnisevaluation: Systematische Erfassung von Auswirkungen der Interventionen

 

Systematischer Einsatz von Methoden / Instrumenten, z. B. subjektive Befragungen, Beobachtungen

Partizipation von Zielgruppen/Stakeholdern, z. B. über Gesundheitszirkel/-werkstätten

Empowerment von Zielgruppen

Quelle: Modifiziert in Anlehnung an G. Mahltig & S. Voermans (2011): Vernetzung und Qualität – Vernetzung als Erfolgsfaktor im Gesundheitswesen. In: N. Klusen, A. Meusch & E. Thiel (Hg.): Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen. Baden-Baden (Nomos). S. 29-56.


4.4 Leistungsarten, Förderkriterien und Ausschlusskriterien

Die folgenden übergreifenden Kriterien beziehen sich auf alle Aktivitäten und Maßnahmen nach dem Setting-Ansatz. Darüber hinaus gelten für Projekte in einzelnen Settings (Kommunen, Kitas, Schulen) spezifische Anford erungen und Kriterien (vgl. Kapitel 4.5.3, 4.6.3, 4.7.3).

Maßnahmen nach dem Setting-Ansatz können von Krankenkassen durch Fachkräfte oder durch qualitätsgesicherte Konzepte und Programme und ggf. finanziell unterstützt werden. Die Krankenkassen können dabei entsprechende Konzepte und Programme eigenständig entwickeln sowie erproben und/oder Dritte mit der Nutzung, Erprobung und Evaluation beauftragen. Mögliche Leistungen der Krankenkassen im Setting-Ansatz können z. B. Beratung, Moderation und Projektmanagement sein.

Inhalte sind insbesondere:
• Bedarfsermittlung und Zielentwicklung
• Beratung zu verhältnispräventiven Umgestaltungen
• Fortbildung von Multiplikatorinnen/Multiplikatoren in Prävention und Gesundheitsförderung
• Planung und Umsetzung verhaltenspräventiver Maßnahmen
• Dokumentation, Evaluation, Qualitätssicherung
• Öffentlichkeitsarbeit
• Förderung von Vernetzungsprozessen

Leistungen nach dem Setting-Ansatz stehen grundsätzlich allen Zielgruppen offen, unabhängig davon, bei welcher Krankenkasse sie versichert sind. Dies gilt auch, wenn nicht alle Krankenkassen im jeweiligen Projekt beteiligt sind.

Die Projekte, für die Leistungen der Krankenkassen nach dem Setting-Ansatz beantragt werden, müssen grundsät z lich – entlang des oben dargestellten Gesundheitsförderungsprozesses bzw. –zyklus‘ – die nachstehenden Bedingungen erfüllen 33 :
Bedarfsermittlung: Für die geplanten Aktivitäten wird ein Bedarf nachgewiesen.
Zielgruppenbestimmung: Die Zielgruppen werden unter besonderer Berücksichtigung sozial benachteiligter Personengruppen definiert.
Vielfalt/Diversität: Die Vielfalt/Diversität der Zielgruppen wird berücksichtigt 34 .
Partnerschaften: Vorhandene Strukturen, Einrichtungen, Netzwerke und Akteure, Finanzierungsträger (Drittmittel) im Setting werden ermittelt und möglichst genutzt bzw. eingebu n den 35 . Ressortübergreifende Strukturen werden gefördert.
Partizipation: In den gesamten Gesundheitsförderungsprozess sind die Zielgruppen aktiv einbezogen.
Zieldefinition: Die Zieldefinition erfolgt möglichst operationalisiert; dabei sind der Verhältnis- und der Verhaltensbezug beachtet.
Finanzierungskonzept: Ein Finanzierungskonzept liegt vor, welches die Aktivitäten in allen Phasen des Gesundheitsförderungsprozesses umfasst (s. Kapitel 4.3). Insbesondere die für das Setting zuständigen Träger bringen einen angemessenen Anteil an Mitteln – auch in Form geldwerter Leistungen – in die Aktivitäten ein.
Transparenz: Die Partnerinnen/Partner informieren sich gegenseitig laufend über den jeweils aktuellen Sachstand.
Ausrichtung der Interventionen: Die geplanten Aktivitäten stärken über die Krankheit svermeidung hinaus die gesundheitsfördernden und -schützenden Ressourcen Einzelner und verbessern die Rahmenbedingungen.
Nachhaltigkeit: Ein Nachhaltigkeitskonzept (z. B. zur Verstetigung des Prozesses, zur Strukturbildung) liegt vor.
Qualitätssicherung: Die im bzw. für das Setting Verantwortlichen verpflichten sich zur Teilnahme an Qual i tätssicherungsmaßnahmen.

Anbieterqualifikation:

Die Durchführung von Maßnahmen nach dem Setting-Ansatz durch die – bzw. im Auftrag – der Krankenkassen erfolgt durch Fachkräfte mit einem staatlich anerkannten Berufs- oder Studienabschluss mit Bezug zu Gesundheit und Prävention. Diese müssen außerdem über spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten in den Bereichen Prozess- und Projektmanagement verfügen. Für individuumsbezogene verhaltenspräventive Maßnahmen im Rahmen des Setting-Ansatzes gelten die Anforderungen an die Anbieterqualifikation in Kapitel 5 entsprechend.

Von der Förderung ausgeschlossen sind insbesondere:

• Aktivitäten, die zu den Pflichtaufgaben anderer Einrichtungen oder Verantwortlicher gehören (z. B. die Suchtberatung durch entsprechende Beratungsstellen oder Suchtprophylaxebeauftragte ),
isolierte, d. h. nicht in ein Gesamtkonzept eingebundene Maßnahmen externer Anbieterinnen/Anbieter,
individuumsbezogene Abrechnung von Maßnahmen,
Förderanträge, die nicht von der Einrichtung /dem Einrichtungsträger selbst gestellt werden,
Forschungsprojekte/Screenings ohne Interventionsbezug,
• Aktivitäten von politischen Parteien sowie parteinahen Organisationen und Stiftungen,
• Aktivitäten, die einseitig Werbezwecken für bestimmte Einrichtungen, Organisationen oder Produkte dienen,
ausschließlich öffentlichkeitsorientierte Aktionen, Informationsstände (z. B. bei Stadtteil-, Schul- und Kita-Festen, in öffentlichen Bereichen) oder ausschließlich mediale Aufklärungskampagnen,
berufliche Ausbildung und Qualifizierungsmaßnahmen, die nicht an das Projekt gebunden sind,
• Kosten für Baumaßnahmen, Einrichtungsgegenstände, Mobiliar und technische Hilfsmittel,
Regelfinanzierung von auf Dauer angelegten Stellen, z. B. in Beratungseinrichtungen 36 ,
• Angebote, die weltanschaulich nicht neutral sind.

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33 Vgl. auch Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (2011). Kriterien guter Praxis in der Gesundheitsförderung bei sozial Benachteiligten. Ansatz – Beispiele – Weiterführende Informationen. Gesundheitsförderung Konkret Bd. 5, 5. erweiterte und überarbeitete Auflage, Köln (Internet: www.gesundheitliche-chancengleichheit.de).

34 Relevante Merkmale der Vielfalt (Diversität) sind unter anderem Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund.

35 Die originär zuständigen Träger/innen müssen sich mit ihren jeweiligen Kompetenzen und finanziellen wie personellen Ressourcen an der Prävention und Gesundheitsförderung beteiligen.

36 Eine Ausnahme besteht bei der Finanzierung der Koordinierungsstellen des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit. Diese werden paritätisch von den Krankenkassen und den Bundesländern finanziert.

 

4.5 Gesundheitsförderung in der Kommune 4.5.1 Grundsätze und Ziele von Gesundheitsförderung in Kommunen

Die Kommune bildet ein besonders geeignetes Setting der Gesundheitsförderung, weil die kommunale Lebenswelt von hoher gesundheitlicher Relevanz für die dort lebenden Menschen ist und sozial benachteiligte und gesundheitlich belastete Menschen hier ohne Stigmatisierung in ihren alltäglichen Lebenszusammenhängen erreicht werden können. Hier lassen sich auch solche Zielgruppen erreichen, die über die Einrichtungen, wie Kita, Schule, Betrieb, in der Regel nicht erreicht werden, wie z. B. Arbeitslose und ältere Menschen. Die im Folgenden beschriebenen Maßnahmen können sich auf ganze Kommunen, Teile derselben (z. B. Stadtteile) oder den ländlichen Raum (ggf. kommunenübergreifend) beziehen.

Die Kommunen verfügen über das grundgesetzlich verbriefte Recht, „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“ (Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz). Bei der Gesundheitsförderung kommt daher den Kommunen selbst eine Schlüsselfunktion zu. Es ist grundsätzlich Aufgabe der Kommunen, einen gesundheitsförderlichen Entwicklungsprozess anzustoßen, zu koordinieren und zu leiten. In diesen sind immer auch andere verantwortliche Akteure einzubinden 37 .

Der Beitrag der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verbesserung des Gesundheitszustandes und –verhaltens der Menschen in der Kommune bildet dabei einen wichtigen Baustein im Rahmen eines größeren Verbundes an unterschiedlichen verantwortlichen Akteuren 38 . Um hier die Zusammenarbeit in der Primärprävention und Gesundheitsförderung zu intensivieren, haben der GKV-Spitzenverband und die kommunalen Spitzenverbände im Mai 2013 eine Empfehlung zur Zusammenarbeit im Bereich der Primärprävention und Gesundheitsförderung in der Kommune verabschiedet 39 .

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37 Bär, G., Böhme, C. & Reimann, B. (2009). Kinder- und jugendbezogene Gesundheitsförderung im Stadtteil. Deutsches Institut für Urbanistik. Berlin, S. 12. Stender, K.-P. (2004). Netzwerk Gesunde Städte. Gesundheit wird auch in Rathäusern entschieden. In: Göpel, E. & Schubert- Lehnhardt, V. (Hrsg.) Gesundheit gemeinsam gestalten 2. Kommunale Gesundheitsförderung. Frankfurt/M., 47-65, hier: S. 48.

38 Diese Komplexität kommt u. a. darin zum Ausdruck, dass in den Kommunen immer mehrere Ämter mit gesundheitsfördernden Aufgaben befasst sind, mindestens die Ämter für Gesundheit, Umweltschutz, Jugend und Familie, Soziales, Bildung sowie Stadtentwicklung. Hieraus resultiert bereits ein erheblicher verwaltungsinterner Koordinierungs- und Abstimmungsbedarf; vgl. Bär, G., Böhme, C. & Reimann, B. (2009). Kinder- und jugendbezogene Gesundheitsförderung im Stadtteil. Ebd. S. 12 und 16 f.

39 Empfehlung der kommunalen Spitzenverbände und der gesetzlichen Krankenversicherung zur Zusammenarbeit im Bereich Primärprävention und Gesundheitsförderung in der Kommune, Mai 2013 (Download: www.gkv-spitzenverband.de unter Krankenversicherung/Prävention, Selbsthilfe, Beratung/ Leitfaden Prävention).

 

4.5.2 Qualitätskriterien für die Umsetzung von Gesundheitsförderung in Kommunen

Wesentliche Quellen für kommunal orientierte Primärprävention und Gesundheitsförderung sind:
Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit 40
Der 2003 gegründete Kooperationsverbund mit zurzeit 60 Mitgliedern macht Angebote der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung über seine Datenbank transparent, vernetzt Institutionen aus verschiedenen Bereichen, fördert den Austausch von Wissenschaft und Praxis und verknüpft bestehende Strukturen. Der Kooperationsverbund hat 16 „Koordinierungsstellen Gesundheitliche Chancengleichheit“ (ehemals „Regionale Knoten“) aufgebaut, die seit Anfang 2007 in allen 16 Bundesländern arbeiten. Ihr Auftrag ist es, den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren auf Landes- und kommunaler Ebene anzuregen, GoodPractice-Projekte zu identifizieren und zu verbreiten und damit die Qualitätsentwicklung zu fördern. Ein Schwerpunkt der Arbeit des Kooperationsverbundes ist seit 2011 der kommunale Partnerprozess „Gesund aufwachsen für alle!“. Dieser richtet sich sowohl an Kommunen, die bereits über ausdifferenzierte Strukturen und ressortübergreifende Strategien für die Gesundheitsförderung verfügen, als auch an solche, die sich auf den Weg hin zu einem kommunalen Gesamtkonzept machen möchten. Im Kern geht es darum, für jedes Kind möglichst optimale Bedingungen für ein gesundes Aufwachsen zu schaffen. Über die kommunalen Handlungsfelder und Zuständigkeiten hinweg werden die gesundheitsförderlichen Angebote an den Übergängen der kindlichen Entwicklung bis zum Einstieg ins Erwachsenenalter miteinander verzahnt und bedarfsgerecht gestaltet („Präventionsketten“) 41 .

Netzwerk für Gesunde Städte 42
Das Netzwerk für Gesunde Städte ging 1989 aus einer Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hervor. Die dem Netzwerk angehörenden Kommunen setzen das Thema Gesundheit im Sinne einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik auf allen Ebenen und in allen Politikbereichen auf die Tagesordnung. Sie verpflichten sich per Rats- bzw. Kreistagsbeschluss, die folgenden Mindestkriterien zur kommunalen Gesundheitsförderung zu unterstützen: ~ Erstellen einer regelmäßigen Gesundheitsberichterstattung, die Eingang in politische Entscheidungen hält ~ Definition spezifischer gesundheitsbezogener Problemfelder ~ Implementierung kommunaler Gesundheitskonferenzen, die einer Vereinbarung kommunaler Gesundheitsziele dienen ~ Gemeinsame Entwicklung, Umsetzung und Evaluation eines Gesundheits-Aktions-Programms ~ Intensive Öffentlichkeitsarbeit

Der Hauptansatzpunkt liegt in der Stärkung des interdisziplinären und intersektoralen Charakters von Gesundheitsförderung. Kommunalpolitische Entscheidungen werden auch und besonders unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung betrachtet.

Bund-Länder-Programm Soziale Stadt 43
Anknüpfungspunkte für eine soziallagenbezogene kommunale Gesundheitsförderung bietet das Programm der deutschen Städtebauförderung „Soziale Stadt“. Unter Berücksichtigung internationaler Erfahrungen wurde es 1999 als Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Die Soziale Stadt“ ins Leben gerufen. Ziel ist hier, die Lebensbedingungen der Bevölkerung benach- teiligter Stadtteile und damit gleichzeitig ihre Lebensperspektiven zu verbessern. Anhand eines integrierten Handlungsprogramms sollen Probleme in besonders benachteiligten Stadtteilen identifiziert, Maßnahmen zur Problemlösung formuliert und Umsetzungsmöglichkei- ten entwickelt werden. Notwendige Bedingung einer „Sozialen Stadt“ ist die Aktivierung und Beteiligung der Bevölkerung des Stadtteils.

Die Bewohnerinnen und Bewohner sind daher stets in die Prozesse der Maßnahmenplanung und -umsetzung einzubeziehen. Bei der Umsetzung der Maßnahmen kommt dem sogenannten Quartiermanagement eine besondere Funktion zu. Es bringt die unterschiedlichen Akteure aus Politik, Verwaltung, Schulen, freien Trägern, Bewohnerschaft, Gewerbe etc. durch Bildung und Moderation bereichsübergreifender Initiativen und Arbeitsgruppen zusammen. Themen der Gesundheitsförderung wurden 2005 in das Programm „Soziale Stadt“ integriert 44 .

Auch zur Gesundheitsförderung im ländlichen Raum gibt es erfolgversprechende Beispiele, deren Erfahrungen für kooperatives Engagement der Krankenkassen mit den verantwortlichen Partnern genutzt werden können 45 . Nachhaltige Verbesserungen der Gesundheit erwarten die Krankenkassen insbesondere von solchen Projekten, die in kommunale Gesamtstrategien eingebettet sind, mit denen Kommunen ihre Verantwortung und ihren Gestaltungswillen für gesündere und sozial ausgleichende Lebensbedingungen auch durch Einbringung von kommunalen bzw. anderweitig beschafften Drittmitteln dokumentieren.

Aus den Erfahrungen des Netzwerks für Gesunde Städte sowie dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ ergeben sich folgende übergreifende Qualitätskriterien für eine gesundheitsförderliche Stadt(teil)entwicklung (vgl. hierzu auch Infokasten): • die Aufnahme des Ziels Gesundheit in den Zielkatalog der Kommune, • eine systematische und mit der Sozialberichterstattung integrierte Gesundheitsberichterstattung, • daraus abgeleitete, mit Zielen anderer kommunaler Ressorts (Stadtentwicklung, Jugendhilfe, Bildung) abgeglichene und unter Beteiligung der Bürger entwickelte Gesundheitsziele, • die Schaffung geeigneter Abstimmungs-, Koordinierungs- und Umsetzungsstrukturen (Gesundheitskonferenzen, Stadtteilzentren, Vernetzungs- und Beteiligungsbüros, Quartiermanagement) und • die Etablierung von Gesundheitsverträglichkeit als Entscheidungskriterium für öffentliche Planungen.

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40 Link: http://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de, unter „Gesundheitsförderung im Quartier“ sowie unter „Gesund aufwachsen für alle! PARTNERPROZESS“.

41 Richter-Kornweitz, A. (2013): Werkbuch Präventionskette. Herausforderungen und Chancen beim Aufbau von Präventionsketten in Kommunen, Landesvereinigung für Gesundheit & Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e. V., Hannover.

42 Link: http://www.gesunde-staedte-netzwerk.de.

43 Link: http://www.staedtebaufoerderung.info, unter „Soziale Stadt“.

44 Zur Ausgestaltung von Gesundheitsförderung in Kommunen der Programmgebiete der „Sozialen Stadt“ vgl. auch Positionspapier der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL 2014): Umwelt- und Gesundheitsaspekte im Programm Soziale Stadt – Ein Plädoyer für eine stärkere Integration“, Nr. 97.

45 Beispiele für Gesundheitsförderung im ländlichen Raum: Die Modellprojekte „Gesunder Landkreis“ (Initiative Gesund.Leben.Bayern) und „Gesunde Gemeinde“ (Reutlingen) setzen den Fokus auf die Prävention und Gesundheitsförderung in der ländlichen Region. Bei „Gesunder Landkreis“ wird ein kommunales Netzwerk zur Stärkung von Gesundheitsförderung und Prävention vor Ort errichtet, ausgerichtet auf die Bedingungen und Bedarfe in den (insbesondere auch ländlichen) Regionen (http://www.zpg-bayern.de/gesunder-landkreis.html). Eine „Gesunde Gemeinde“ zielt auf den Erhalt der Lebensqualität vor allem im ländlichen Raum des Landkreises Reutlingen ab. Hierfür wurde ein Qualitätszertifikat „Gesunde Gemeinden – Gesunde Städte im Landkreis Reutlingen“ entworfen, das mit Start im Jahr 2014 in drei Gemeinden modellhaft erprobt wird. Ziel ist die Erhöhung von Transparenz und Qualität bei gesundheitsförderlichen Angeboten sowie die Förderung von deren Weiterentwicklung (s. Bericht der Arbeitsgruppe „Gesunde Gemeinden – Gesunde Städte im Landkreis Reutlingen (Zertifikatsentwicklung, als PDF-Datei zu finden unter http://www.kreis-reutlingen.de/kgk/Gesunde-Gemeinde-Gesunde-Stadt).

 


Qualitätselemente integrierter und ressortübergreifender Gesundheitsförderung im Setting Kommune

In Veröffentlichungen des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) und von Gesundheit Berlin Brandenburg e. V. wurde dargelegt, wie Gesundheitsförderung als Teil der Stadtentwicklung im Sinne eines integrierten und ressortübergreifenden Vorgehens erfolgreich implementiert und umgesetzt werden kann 46 . Als praxistaugliche „Qualitätselemente der gesundheitsförderlichen Stadtentwicklung“ sind hervorzuheben:

Stadtteilbezogene Bedarfsanalysen(Aufgabe der Kommunen): Datengewinnung, -aufbereitung und -zusammenführung zu einem breiten Spektrum gesundheitsbezogener Themen wie:
• umweltbezogene Gesundheitsbelastungen (z. B. Lärm- und Luftbelastung, Kfz-Dichte)
• individuelle Gesundheitsbelastungen (z. B. Arbeitslosigkeit, Sozialhilfebezug)
• Gesundheitszustand der Bevölkerung (z. B. Übergewicht, Motorik- und Sprachstörungen bei Kindern)
• Gesundheitsversorgung (z. B. Anzahl der Arztpraxen)
• Gesundheitspotenziale (z. B. bewegungsanregende Infrastruktur, öffentliche Grünflächen, Gesundheitsprojekte in Kitas und Schulen)
• Ergänzung dieser Daten um qualitative Einschätzungen der Vor-Ort-Akteure und der Bewohnerschaft
• ggf. Ergänzung dieser Daten um Daten der Sozialversicherungsträger

Konzeptentwicklung:
• Integration von Themen und Zielen der Gesundheitsförderung in die „Integrierten Entwicklungskonzepte“
• hierbei Verbindung der klassischen Präventionsfelder Ernährung, Bewegung und Suchtprävention mit Themen und Zielen aus den Bereichen Umwelt und Städtebau

Strukturentwicklung:
• nachhaltige Etablierung von Steuerungs- und Koordinierungsstellen für die gesundheitsfördernde Stadt(teil)entwicklung unter Beteiligung von Vertreter/innen der zuständigen Ämter, Gesundheitsakteure, Vor-Ort-Aktiven und Bewohnerschaft
• Ansiedlung dieser Koordinierungsstellen beim Quartiermanagement bzw. in enger Zusammenarbeit mit diesem

Projektentwicklung durch Beteiligung und Zielgruppenorientierung:
• institutionalisierte Mitgestaltungsmöglichkeiten der Bürger/innen bei der Angebotsplanung
• Ausrichtung der niedrigschwelligen Angebote auf (nach Herkunft, Geschlecht und Alter möglichst genau definierte und homogene) Zielgruppen in Zusammenarbeit mit den für diese Zielgruppen relevanten Institutionen (z. B. Schulen, Kitas und Jugendclubs)

Nutzung vorhandener und Schaffung neuer Finanzierungsmodelle:
Mobilisierung und Zusammenführung von Ressourcen aus unterschiedlichen Quellen, z. B.:
• Mittel für „Nichtbauliche Modellvorhaben“ des Programms „Soziale Stadt“
• Mittel der „Verfügungsfonds“ des Programms „Soziale Stadt“
• kommunale Mittel
• Mittel von Stiftungen
• GKV-Mittel nach § 20 SGB V auf der Grundlage dieses Leitfadens

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46 Bär, G., Böhme, C. & Reimann, B. (2009). Gesundheitsförderung und Stadtteilentwicklung. In: Kuhn, D., Papies-Winkler, I. & Sommer, D. (Hrsg.) (2009). Gesundheitsförderung mit sozial Benachteiligten. Erfahrungen aus der Lebenswelt Stadtteil. Frankfurt/M. S. 249-259, hier: S. 250.

 

4.5.3 Spezielle Förderkriterien für Gesundheitsförderung im Setting Kommune

Die nachfolgenden speziellen Kriterien konkretisieren bzw. ergänzen die übergreifenden Kriterien für Maßnahmen im Setting-Ansatz in Kapitel 4.4: • Ziel bei der Nutzung und Schaffung von Strukturen ist grundsätzlich die Nachhaltigkeit und Verankerung von Gesundheitsförderung in den Kommunen. Das schließt ein, dass das Ziel Gesundheit in den Zielkatalog der Kommune aufgenommen wird/ist. • Gesetzliche Krankenkassen bringen sich bei Projekten ausschließlich dann ein, wenn die Partner ihren jeweiligen inhaltlichen und finanziellen Teil erfüllen.

Für Leistungen nach dem Setting-Ansatz in Kommunen werden krankenkassenübergreifende Kooperationen empfohlen. In der Kommune treffen viele Verantwortliche aufeinander, die in ihrem Bereich für Gesundheitsförderung und Prävention zuständig sind. Schnittstellen zu anderen Sozialversicherungsträgern, kommunalen Einrichtungen und Bildungsträgern mit Bezug zur Primärprävention und Gesundheitsförderung sind im Anhang dargestellt (s. Anhang, Kapitel 7.1: Berührungspunkte/Abgrenzungen von Leistungen nach § 20 SGB V zu gesetzlichen Aufgaben anderer Träger für besondere Zielgruppen im Setting Kommune).

4.5.4 Besondere Zielgruppen im Setting Kommune

Nachfolgend werden beispielhaft drei Zielgruppen betrachtet, die einen besonderen Bedarf an Unterstützung haben können. Im Vorfeld einer konkreten Förderung ist jedoch auch hier eine Bedarfsanalyse notwendig.

Werdende, junge Familien und Alleinerziehende im Setting Kommune

Werdende und junge Eltern zeigen sich tendenziell besonders empfänglich für Gesundheitsthemen, sodass bei di e sen gute Chancen zu gesundheitsförderlichen Lebensstiländerungen gesehen werden. Familien in der Phase der Schwangerschaft, mit Säuglingen und Kindern im Kleinkind-/Kindergartenalter sowie Alleinerziehende sollen als Zielgruppe bei settingbezogenen Maßnahmen in Kommunen stärkere Berücksichtigung finden. Alleinerziehende sind durch ihre Lebenslage (häufig schlechtere sozioökonomische Lage, höhere Stressbelastung) oft erheblichen Belastungen ausgesetzt. Alleinerziehende weisen gegenüber Erziehenden in einem Zwei-Eltern-Haushalt höhere gesundheitliche Risiken auf (u. a. stärkere psychische Belastungen, vor allem Depressionen 47 ; höherer Tabak- 48 /Alkoholkonsum).

Handlungsleitende Förderkriterien für an Familien gerichtete Maßnahmen

Für die Planung, Umsetzung und Nachbereitung von Leistungen nach dem Setting-Ansatz, die Krankenkassen anteilig besonders für werdende, junge und belastete Familien erbringen können, gelten nachfolgende Kriterien . Sie ergänzen bzw. konkretisieren die übergreifenden Förderkriterien zum Setting-Ansatz (Kapitel 4.4) sowie zum Setting Kommune (Kapitel 4.5.3):
• Zielgruppen sind werdende Familien, junge Familien mit Säuglingen und Kindern im Kleinkind-/Kindergartenalter 49 sowie Ein-Eltern-Familien.
• Das Augenmerk liegt auf schwer erreichbaren „sozial benachteiligten“ Familien. Mögliche Stigmatisierungen (z. B. durch Titulierungen der Angebote) sind auszuschließen.
• Die Angebote für Familien sollten möglichst niedrigschwellig 50 in Einrichtungen in der Kommune (z. B. Bürgerzentren, Stadtteiltreffs) umgesetzt werden.
• Partnerschaften sind auch möglich mit Einrichtungen von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, Familienbildung s werken, Wohnbaugesellschaften sowie Vereinen (z. B. für Migrantinnen und Migranten, Stadtteiltreffs).
• Im Setting Kommune können sich Krankenkassen an evaluierten verhaltensorientierten Programmen, die nicht explizit in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenkassen fallen, die aber gesundheitsförderliche Aspekte berücksichtigen und entsprechende Effekte versprechen 51 , ausschließlich an den gesundheitsförderlichen Inhalten beteiligen. Diese Programme müssen in eine Gesamtkonzeption eingebunden sein, um ggf. aus dem gemeinsamen Projektbudget anteilig finanziert werden zu können.

Beispiele für Netzwerke oder Plattformen zur familienbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention sind „Bündnis für Familie“ (www.lokale-buendnisse-fuer-familie.de/ ) , „Gesund aufwachsen für alle – PARTNERPROZESS“ (www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/?id=partnerprozess), „Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie“ (im Rahmen von INFORM www.gesund-ins-leben.de/ ) , „Das Nationale Zentrum Frühe Hilfen“ (www.fruehehilfen.de/ ).

Ältere/alte Menschen im Setting Kommune

Aufgrund der demografischen Entwicklung und daraus entstehender Herausforderungen ist der Zielgruppe „ältere/alte Menschen“ in der Prävention und Gesundheitsförderung verstärkt Beachtung zu schenken 52 . Gesundheit, Lebensqualität, Selbstbestimmung, Mobilität und Selbstständigkeit sollen möglichst bis ins hohe Alter erhalten, die Entstehung von Krankheit und Pflegebedürftigkeit vermieden und hinausgezögert werden. Zwar wird bereits im jungen Alter der Grundstein für eine gesundheitsbewusste Lebensführung gelegt, die Auswirkungen auf die Gesundheit und Lebensqualität im Alter hat 53 . Doch können einige gesundheitliche Risiken auch im höheren Lebensalter durch einen gesundheitsbewussten Lebensstil und umweltbezogene Maßnahmen beeinflusst werden 54 .

Für Leistungen der Primärprävention nach § 20 SGB V zum Erhalt von Mobilität und Selbstständigkeit kommen insbesondere selbstständig lebende ältere/alte Menschen in Betracht. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf isoliert lebende und sozial benachteiligte ältere/alte Menschen zu legen. Die für ältere/alte Menschen zugeschnittenen Leistungen sollen wohnortnah, niedrigschwellig, im Rahmen kommunaler Strukturen und in Kooperation von verschiedenen Akteuren vor Ort sowie möglichst in Mitwirkung älterer Menschen erbracht werden 55 . Die jeweils gesetzlich geregelten (Finanzierungs-)Zuständigkeiten, wie z. B. nach dem Pflegeversicherungs- und Sozialhilferecht, sind stets zu berücksichtigen.

Partnerschaften können insbesondere eingegangen werden mit:
• Bürger- und Seniorenzentren, Begegnungsstätten,
• Wohnungsbaugesellschaften/–genossenschaften,
• Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände,
• Koordinierungsstellen für Gesundheitsförderung in den Kommunen,
• Vereinen, insbesondere Sportvereinen, im ländlichen Raum auch mit Landfrauenverbänden,
• Gemeinsamen Servicestellen der Rehabilitationsträger.

Arbeitslose Menschen im Setting Kommune

Anhaltende Arbeitslosigkeit ist ein erheblicher gesundheitlicher Risikofaktor, z. B. weisen ca. 35 % der Leistungsberechtigten in der Grundsicherung für Arbeitsuchende gesundheitliche Einschränkungen auf. Arbeitslose leiden insbesondere unter psychischen Belastungen und in der Folge vielfach auch an psychischen Erkrankungen 56 . Zugleich ist ein beruflicher Wiedereinstieg für gesundheitlich eingeschränkte Erwerbslose erheblich erschwert. Präventionsmaßnahmen des individuellen Ansatzes erreichen diesen Personenkreis schwer 57 . Arbeitslose Versicherte sind von daher eine sozial benachteiligte Gruppe mit besonderem Präventions- und Gesundheitsförderungsbedarf.

Für arbeitslose Versicherte zugeschnittene Leistungen, die insbesondere auf die Bewältigung der mit der Arbeitslosigkeit verbundenen psychischen Belastungen und der Stärkung von Bewältigungskompetenzen und Selbstwertgefühl gerichtet sind, sollen in Kooperation mit weiteren verantwortlichen Partnern im Rahmen der Kommune erbracht werden. Für eine Verzahnung von Gesundheitsförderung mit Arbeitsförderungsmaßnahmen sind hier die Jobcenter als Partner bedeutsam, zu denen sowohl Einrichtungen gemäß § 44b SGB II als auch kommunale Träger der Grundsicherung (Optionskommunen) zählen sowie die Agenturen für Arbeit. Es empfiehlt sich, dass Jobcenter/Agenturen für Arbeit und Krankenkassen im Setting Kommune weitere Partner einbeziehen, wie z. B. Arbeitslosenvertretungen, Beschäftigungsträger, Sportvereine, Wohlfahrtsverbände, Nachbarschafts- und Stadtteilzentren, die dazu beitragen, auch Rahmenbedingungen gesundheitsförderlich weiterzuentwickeln und die Gesundheit der Zielgruppe zu stärken 58 .

Bei einem gemeinsamen Vorgehen mit den Krankenkassen haben die Jobcenter/Agenturen für Arbeit folgende Aufgaben: Sie sollen die Zielgruppe für die Thematik „Gesundheit“ zur Verbesserung der individuellen (Wieder-)Eingliederungschancen ins Erwerbsleben sensibilisieren und sie für einen gesundheitsförderlichen Lebensstil und – unter Beachtung des Grundsatzes der Freiwilligkeit – ggf. zu einer Teilnahme an gesundheitsfördernden und primärpräventiven Maßnahmen motivieren. Bei verhaltenspräventiven Bausteinen, die die Krankenkassen bereitstellen, sollte es sich insbesondere um zielgruppenspezifische Programme für Arbeitslose handeln 59 .

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47 Cairney, J., Boyle, M., Offord, D.R. & Racine, Y. (2003). Stress, social support and depression in single and married mothers. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology. Jg. 38. S. 424-429. Franz, M., Lensche, H. & Schmitz, N. (2003). Psychological distress and socioeconomic status in single mothers and their children in a German city. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology. Jg. 38. S. 59-68.

48 Rahkonen, O., Laaksonen, M. & Karvonen, S. (2005). The contribution of lone parenthood and economic difficulties to smoking. Social Science and Medicine, Jg. 61. S. 211-216. Franke, A., Mohn, K., Sitzler, F., Welbrink, A. & Witte, M. (2001). Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit bei Frauen. Weinheim.

49 „Junge Familie“ mit einem jüngeren Kind: Mindestens ein Erwachsener im „Familienverbund“ ist für dieses Kind erziehungsberechtigt (Bevollmächtigungen von nicht direkt Erziehungsberechtigten – z .B. Großeltern – zur Teilnahme an Maßnahmen möglich).

50 Z. B. durch Beteiligung an Multiplikatorenausbildung (soweit eng gesundheitsbezogen) von Menschen im Setting zu Stadtteilmüttern, Gesundheitslotsen etc.

51 Z. B. Angebote zur Stärkung von Elternkompetenz. Nicht bezuschussungsfähig sind Angebote zur frühkindlichen Förderung.

52 Vgl. Kooperationsverbund gesundheitsziele.de, Nationales Gesundheitsziel „Gesund älter werden“ (März 2012).

53 Bspw. kann vor allem durch ausreichende Bewegung und einen gesunden Lebensstil, geistige Aktivität sowie soziale Teilhabe das Risiko, im späteren Lebensalter an Demenz zu erkranken, verringert bzw. der Krankheitsbeginn hinausgeschoben werden, wohingegen bei Mental- und Gedächtnistrainings keine hinreichende Evidenz zu den Effekten vorliegt. Elwood, P., Galante, J., Pickering, J., Palmer, S., Bayer, A., Ben-Shlomo, Y, Longley, M., Gallacher, J. & Sathian, K. (2013). Healthy Lifestyles Reduce the Incidence of Chronic Diseases and Dementia: Evidence from the Caerphilly Cohort Study, PLoS ONE, 8(12), e81877. S. auch Kooperationsverbund gesundheitsziele.de (März 2012). Nationales Gesundheitsziel „Gesund älter werden“ (www.gesundheitsziele.de).

54 Studien zufolge wiesen Menschen, die erst im Alter von etwa 65 Jahren gesundheitsbewusster lebten (d. h. sich mehr bewegten und gesünder ernährten), eine messbar höhere körperliche Leistungsfähigkeit und Lebensqualität auf, als Inaktive der gleichen Altersgruppe: Hammer, M., Lavoie, K. & Bacon, S. (2014): Taking up physical activity in later life and healthy aging: the English longitudinal study of ageing. British Journal of Sports Medicine, 48, 239-243. Kuhlmann, A. (2009). Gesundheitsförderung und Prävention für ältere Menschen im Setting Kommune. Kurz-Expertise, gefördert durch das BMG.

55 Vgl. auch einstimmigen Beschluss der 85. Gesundheitsministerkonferenz vom 28. Juni 2012, TOP 9.1: Umsetzung des Nationalen Gesundheitsziels „Gesund älter werden“. Hinweise zur Gesundheitsförderung für ältere/alte Menschen im Quartier s. auch Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V. – Arbeitsgemeinschaft für Gesundheitsförderung (2010): Aktiv werden für Gesundheit – Arbeitshilfen für Prävention und Gesundheitsförderung im Quartier. Gesund und Aktiv älter werden, Heft 6.

56 Robert Koch Institut (Hrsg.). Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und Gesundheit. GBE kompakt 1/2012. Berlin. Hollederer, A. (2009): Gesundheit und Krankheit von Arbeitslosen sowie Chancen und Grenzen arbeitsmarktintegrativer Gesundheitsförderung. In: Ders. (Hrsg.) Gesundheit von Arbeitslosen fördern! Ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis, 12-38. Paul., K. Moser, K. (2009): Metaanalytische Moderatorenanalysen zu den psychischen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit – Ein Überblick. In: Ebd. S. 39-61.

57 Gesundheitsberichterstattung des Bundes September 2006 (RKI Hrsg.): Gesundheit in Deutschland. Datentabellen, Berlin.

58 Empfehlung der kommunalen Spitzenverbände und der gesetzlichen Krankenversicherung zur Zusammenarbeit im Bereich Primärprävention und Gesundheitsförderung in der Kommune, Mai 2013; Empfehlung zur Zusammenarbeit zwischen der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zum Thema Arbeitslosigkeit und Gesundheit, Februar 2012 (beide Empfehlungen im Internet erhältlich unter http://www.gkv-spitzenverband.de in der Rubrik „Krankenversicherung“, „Prävention, Selbsthilfe, Beratung“, „Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung“, „Leitfaden Prävention“).

59 S. auch Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (2012): Gemeinsam handeln: Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen. Eckpunkte zum Vorgehen im kommunalen Rahmen (Internet: www.gesundheitliche-chancengleichheit.de in der Rubrik „Materialien“).

 

4.6 Gesundheitsfördernde Kindertagesstätte

Kindertagesstätten (Kitas) eignen sich in besonderer Weise als Setting der Gesundheitsförderung, weil hier Kinder in einer Lebensphase erreicht werden, in der gesundheitsförderliche Erlebens und Verhaltensweisen entscheidend beeinflusst und geprägt werden können. Damit werden u. a. wichtige Grundsteine für die weitere Bildungs- und Persönlichkeitsentwicklung der Kinder insgesamt gelegt. Ausgehend vom Setting Kita können auch die gesundheitlichen Rahmenbedingungen in den Familien positiv beeinflusst werden, denn insbesondere in der frühen Lebensphase von Kindern haben Eltern ein großes Interesse an der gesunden Entwicklung ihres Kindes. Die Schaffung gesundheitsförderlicher Strukturen und Abläufe in Kitas kann schließlich auch zur Verringerung der Belastungen und damit zur Verbesserung der Gesundheit der Erzieherinnen und Erzieher beitragen.

Insbesondere in Kitas in sozial benachteiligten Kommunen/Stadtteilen können Kinder mit sozial bedingt ungünstigeren Gesundheitschancen erreicht werden. Bei der Planung gesundheitsfördernder Maßnahmen sollten daher Kitas in sozial benachteiligten Kommunen/Stadtteilen besonders berücksichtigt werden.

Das Ziel der pädagogischen Arbeit der Kita, die Entwicklung einer „eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ 60 , kann wesentlich auch durch Gesundheitsinterventionen zur Unterstützung der physischen, psychischen und sozialen Entwicklung der Kinder gefördert werden. Gesundheitsförderung und Prävention in Kitas sind daher nicht als isolierte Zusatzaufgabe zu begreifen, sondern stellen einen integralen Bestandteil des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Kita dar.

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60 Grundsätze der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen entsprechend § 22 SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe.

 

4.6.1 Ziele von Gesundheitsförderung in Kitas

Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung in Kitas sollen insbesondere die Förderung von Bewegung, gesunder Ernährung, Entspannung, Stressbewältigung und Resilienz (Widerstandsfähigkeit) umfassen und in deren Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag integriert sein 61 . In vielen Kitas werden entsprechende Ansätze bereits verfolgt. Die Rolle der Krankenkassen kann deshalb darin bestehen, solche Ansätze zu begleiten, die sich (ggf. in Kombination mit weiteren Handlungsfeldern wie Gewalt- und Suchtprävention) auf die Erreichung folgender Ziele konzentrieren:
• Das Kita-Team sorgt für ein ausgewogenes und abwechslungsreiches Angebot frischer und gesunder Lebensmittel.
• Die Kinder werden in die Zubereitung der Mahlzeiten – sofern die räumlich-strukturellen Voraussetzungen hierfür gegeben sind – aktiv integriert, um ihnen sinnliche Lernerfahrungen im Umgang mit Lebensmitteln zu ermöglichen.
• Die Esssituation wird vom Kita-Team gemeinsam mit den Kindern freudvoll und gesellig gestaltet.
• Der Kita-Träger stellt vielfältige und möglichst naturnahe Bewegungsräume und Bewegungsmöglichkeiten zur Verfügung.
• Über Bewegungsspiele in Gruppen werden die körperliche Leistungsfähigkeit, die Lernfähigkeit und -bereitschaft sowie die sinnlichen Erfahrungsmöglichkeiten der Kinder verbessert.
• Über Entspannung im rhythmischen Wechsel mit Bewegungseinheiten werden die Körperwahrnehmung verbessert und die Lern- und Konzentrationsfähigkeit wiederhergestellt.
• Psychische Ressourcen wie Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit werden gestärkt.
• Netzwerke werden initiiert, die ausgehend von Kitas nachhaltig gesundheitsförderliche Strukturen in der Region unterstützen. Die Verfügbarkeit von Gemeinderessourcen zur Unterstützung der praktischen Gesundheitsförderung wird ausgelotet.
• Sozial-emotionale Kompetenzen (wie z. B. Selbststeuerung, Rücksichtnahme, Konfliktlösung) werden gestärkt.
• Die Gesundheitsförderungskompetenzen von Eltern werden gestärkt.
• Das Kita-Team wirkt bei Eltern und Kindern auf einen maßvollen Umgang mit Medien hin.
• Das Kita-Team selbst wird in Fragen der Gesundheitsförderung unterstützt (ggf. Verknüpfung mit Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung).

Kita-Team auch die Wahrnehmung seiner pädagogischen Aufgaben: So werden emotionale Span- nungen sowie aggressive Handlungen verringert, das Zusammengehörigkeitsgefühl sowie die Freude und der Genuss bei gemeinsamen Aktivitäten gesteigert und die Lernbereitschaft sowie die Aufnahmefähigkeit und Konzentration der Kinder vergrößert. Diese Effekte wiederum verringern die Belastungen des Erziehungspersonals und wirken sich damit auch positiv auf dessen Gesundheit und Leistungsfähigkeit aus. Förderlich für die Projektarbeit und unterstützend für das Personal können auch Austausch und Vernetzung der Kitas untereinander wirken.

Bei der Planung und Umsetzung der Maßnahmen ist auf eine enge Kooperation mit den Eltern und eine Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse, Kompetenzen und Voraussetzungen zu achten. Hierzu gehören eine Transparenz des Geschehens in der Kita für die Eltern und ihre möglichst aktive Einbindung in gemeinsame Aktivitäten wie z. B. die Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen mit dem Kita-Team. Dabei bietet es sich auch an, Möglichkeiten zur Veränderung familiärer Gewohnheiten, z. B. bei der Ernährung und dem Medienkonsum zu erörtern. Eltern mit Migrationshintergrund und geringen Deutschkenntnissen sollten hierbei möglichst bedarfsgerecht (z. B. durch muttersprachliche Materialien bzw. Angebote) informiert und einbezogen werden.

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61 Kooperationsverbund gesundheitsziele.de (2010). Nationales Gesundheitsziel „Gesund aufwachsen: Lebenskompetenz, Bewegung, Ernährung“. (Hrsg. vom Bundesministerium für Gesundheit) Berlin.

 

4.6.2 Umsetzung von Gesundheitsförderung in Kitas

Die Krankenkassen beteiligen sich partnerschaftlich an gesundheitsfördernden Projekten und Maßnahmen zur integrierten Förderung von Bildung und Gesundheit in Kitas mit verhaltens- und verhältnispräventiver Ausrichtung. Dabei beteiligen sich der Kita-Träger, das Kita-Team sowie Krankenkassen und Unfallversicherungsträger gemäß ihrem Aufgaben- und Verantwortungsbereich an dem Prozess der integrierten Bildungs- und Gesundheitsförderung. Hierbei ist die Kooperation mit den zuständigen kommunalen Ämtern (Jugend- und Gesundheitsamt) sowie Vereinen vor Ort zu empfehlen. Insbesondere bei Maßnahmen im Handlungsfeld Bewegung ist die Zusammenarbeit mit Sportvereinen sinnvoll, um die dauerhafte Bindung der Kinder an gesundheitssportli- che Aktivitäten zu gewährleisten. Weitere Akteure können je nach Schwerpunkt und regionalen Gegebenheiten einbezogen werden.

Leistungen der Krankenkassen in Kitas können zunächst an einzelnen Handlungsfeldern der Gesundheitsförderung anknüpfen. So sind z. B. Angebote zu gesunder Ernährung und Bewegung schon heute integraler Bestandteil des Kita-Alltags in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Bei entsprechender Nachfrage der Kitas kann die Arbeit des Personals und die Qualität der Angebote hierbei dadurch unterstützt werden, dass vermehrt bereits praxisgetestete, evaluierte und standardisierte Projekte oder Module in die pädagogisch gestalteten Abläufe in der Kita aufgenommen werden. Die Krankenkassen können diesen Transfer begleiten und fördern, z. B. durch Fortbildung und Beratung des Personals.

Anzustreben ist ein Beschluss des Kita-Trägers, in einen integrierten Prozess der Bildungs- und Gesundheitsförderung einzutreten sowie ein entscheidungskompetentes internes oder einrichtungsübergreifendes Steuerungsgremium zu etablieren (mit Beteiligung des Kita-Trägers, der betrieblichen Verantwortlichen, der Krankenkasse, des zuständigen Unfallversicherungsträgers sowie der Eltern).

Wo immer möglich und sinnvoll, sollte das Kita-Team weitere Unterstützungsmöglichkeiten für die eigene Arbeit nutzen. In der Gemeinde können z. B. Kinderärztinnen/Kinderärzte, Zahnärztinnen/ Zahnärzte, kommunale Ämter (Jugend-, Gesundheits-, Sozialamt), Stadtteiltreffs, Beratungsstellen, Polizeidienststellen, kulturelle Einrichtungen und Vereine, insbesondere Sportvereine, themen- und anlassbezogen den Gesundheitsförderungsprozess in der Kita unterstützen und den Kita-Alltag (z. B. durch Exkursionen) bereichern. Die Unfallversicherungsträger als weitere mögliche Partner können beratende Unterstützung bei Fragen zu Möglichkeiten der Gestaltung von Bewegungsräumen/bewegungsfreundlichen Spielflächen leisten.

4.6.3 Spezielle Förderkriterien für Leistungen im Setting Kita

Bei der Entscheidung darüber, in welchen Projekten und Maßnahmen sich Krankenkassen engagieren, sind die nachfolgenden speziellen Kriterien – in Ergänzung der in Kapitel 4.4 definierten übergreifenden Förderkriterien – handlungsleitend:
• Es handelt sich um gesundheitsfördernde Projekte/Maßnahmen zur integrierten Förderung von Bildung und Gesundheit in Kitas mit verhaltens- und verhältnispräventiver Ausrichtung.
• Die Kita ist nicht nur Zugangsweg zur Erreichung der Kinder und ihrer Familien, sondern ist selbst Gegenstand gesundheitsförderlicher Umgestaltung.
• Zielgruppen sind insbesondere die Kinder und deren Familien. • Die Maßnahmen bauen auf dem tatsächlichen Bedarf der Kindertagesstätte – erhoben z. B. durch Befragungen bei Eltern und Erzieherinnen/Erziehern – auf.
• Es handelt sich um Gemeinschaftsprojekte mit mehreren Partnerinnen/Partnern bzw. Finanzierungsverantwortlichen. Insbesondere hat auch der Kita-Träger selbst eigene sächliche oder finanzielle Mittel in das Projekt/die Maßnahme einzubringen.
• Umsetzung und Ergebnisse der Intervention werden dokumentiert, evaluiert und allen Projektbeteiligten zur Verfügung gestellt.

4.7 Gesundheitsfördernde Schule

Die Schule eignet sich insbesondere für zielgrup- penorientierte Maßnahmen zur Primärprävention und Gesundheitsförderung, weil hier alle Kinder und Jugendlichen einer bestimmten Altersstufe erreicht werden können. Die gesundheitlichen Bedingungen an Schulen sind mitentscheidend dafür, mit welcher Qualität die Schule ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag erfüllen kann. Die seit Anfang der 1990er Jahre etablierten Aktivitäten und Strukturen in diesem Feld und die Erfahrungen der GKV in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts zeigen, dass es Schulen gelingen kann, sich zu gesundheitsfördernden Schulen zu entwickeln 62 .

Die gesetzlichen Krankenkassen haben zwischen 2003 und 2008 das Modellvorhaben „gesund leben lernen“ (gll), ein kassenartenübergreifen- des Schulprojekt, in drei Bundesländern mit den jeweiligen Landesvereinigungen für Gesundheit gefördert. In den letzten Jahren sind weitere qualitativ hochstehende Projekte etabliert worden, die sich – analog zur betrieblichen Gesundheitsförderung – durch Strukturen zur organisatorisch-inhaltlichen Steuerung, ein bedarfsorientiertes Vorgehen, die Arbeit in Gesundheitszirkeln, kombiniert verhaltens- und verhältnisbezogene Maßnahmen und eine Erfolgskontrolle auszeichnen 63 .

Die Evaluation des Projekts „gesund leben lernen“ zeigt ebenso wie die Evaluationen und Erfahrungen anderer großer Gesundheitsförderungsprojekte, dass Gesundheitsförderung in Schulen nach dem Setting-Ansatz mit Unterstützung durch die Krankenkassen dann erfolgreich ist, wenn wichtige Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. 4.7.2) 64 .

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62 Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 15.11.2012. Empfehlung zur Gesundheitsförderung und Prävention in der Schule; Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2008). Gutachten 2007. Kooperation und Verantwortung Band II. Baden-Baden, 364-432; Barkholz, U., Gabriel, R., Jahn, H., Paulus, P. (2001). Offenes Partizipationsnetz und Schulgesundheit. Gesundheitsförderung durch vernetztes Lernen. Hrsg. vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.

63 Z. B. „Allianz für nachhaltige Schulgesundheit und Bildung in Deutschland“, Internet: www.anschub.de; Landesprogramm Bildung und Gesundheit NRW. Internet: www.bug-nrw.de. Paulus, P. (2010): Die gute gesunde Schule. Mit Gesundheit gute Schule machen. Hrsg. Von Verein Anschub.de und BARMER GEK.

64 Paulus, P., Schumacher, L., Sieland, B., Burrows, E., Rupprecht, S. & Schwarzenberg, K. (2014): Evaluationsbericht „Gemeinsam gesunde Schule entwickeln“. Eine Initiative der DAK-Gesundheit. Lüneburg: Zentrum für Angewandte Gesundheitswissenschaften (ZAG Forschungs- und Arbeitsberichte, Band 30), Internet: www.gesundheitliche-chancengleichheit.de und www.schulen-entwickeln.de; Kliche, T. et al. (2010). (Wie) wirkt Gesundheitsfördernde Schule? Effekte des Kooperationsprojektes „gesund leben lernen“. Prävention und Gesundheitsförderung. DOI 10.1007/s11553-010-0243-4; Paulus P., Gediga G. (2008). Evaluation von Anschub.de. Wirkung eines Programms zur Förderung der guten gesunden Schule. Download: www.anschub.de, Dokumente, Evaluationsergebnisse.

 

4.7.1 Ziele von Gesundheitsförderung in Schulen

Die inhaltliche Ausrichtung der Projekte und Maßnahmen soll das Erreichen folgender Ziele ermöglichen:
• Das gesundheitsbezogene Verantwortungsbewusstsein Einzelner, der Familie und der Gemeinschaft wird gefördert.
• Gesundheitsförderung im Bereich „Schule“ wird im breiten Sinne als Bildungsressource begriffen, die den Schülerinnen und Schülern u. a. auch dazu verhilft, sich zu mündigen Nutzerinnen und Nutzern der sozialen Sicherungssysteme zu entwickeln. Dabei ist unter aktiver Einbeziehung der Lernenden ein kohärentes Curriculum für diesen Problembereich zu erstellen.
• Netzwerke werden initiiert, die ausgehend von Schulen nachhaltig gesundheitsförderliche Strukturen in der Region unterstützen. Die Verfügbarkeit von Gemeinderessourcen zur Unterstützung der praktischen Gesundheitsförderung wird ausgelotet.
• Alle Schülerinnen und Schüler werden befähigt, ihr physisches, psychisches und soziales Potenzial auszuschöpfen – dies schließt die Stärkung von Resilienz ein – und ihre Selbstachtung zu fördern (Empowerment). Dabei werden zur Förderung von Gesundheit der gesamten Schulgemeinschaft (Kinder und Erwachsene) klare Ziele gesteckt.
• Die Schülerinnen und Schüler werden unterstützt, einen gesundheitsförderlichen Umgang miteinander zu pflegen (Kontrollfähigkeit, Selbststeuerung, Konfliktlösung).
• Durch Berücksichtigung von Aspekten der Gesundheitsförderung bei allen wichtigen Entscheidungen, durch die (Weiter-)Entwicklung partizipativer Strukturen und durch Stärkung der persönlichen Kompetenzen wird ein gesundheitsförderndes Arbeits- und Lernklima für alle Beteiligten geschaffen.
• Die Gesundheitsförderungskompetenzen von Eltern werden gestärkt.
• Durch eine angemessene Gestaltung der Gebäude, Einrichtungen/Möblierung, Spielflächen, Schulmahlzeiten, Sicherheitsmaßnahmen usw. wird ein gesundheitsförderndes Arbeits- und Lernumfeld geschaffen.
• Lehrerinnen und Lehrer wirken bei Schülerinnen/Schülern und ihren Eltern auf einen maßvollen Umgang mit Medien hin.
• Das Schulpersonal selbst wird in Fragen der Gesundheitsförderung unterstützt (ggf. Verknüpfung mit Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung).

4.7.2 Umsetzung von Gesundheitsförderung in Schulen

Alle Partner beteiligen sich gemäß ihrem Aufgaben- und Verantwortungsbereich an dem Prozess der Gesundheitsförderung. Die Krankenkassen können diesen Prozess mit erprobten und evaluierten gesundheitsförderlichen Projekten, Programmen oder Modulen unterstützen und den Transfer begleiten, z. B. durch Fortbildung und Beratung der Schulen und Lehrkräfte. Zur Erreichung einer möglichst hohen Effektivität legen die am Projekt Beteiligten ihre Aufgaben vor Beginn im Konsens fest. Dies dient einer zielführenden Projektarbeit, identifiziert Schnittstellen und vermeidet Überschneidungen.

Notwendig sind:
• ein Beschluss der Schulkonferenz (Lehrer-, Eltern- und Schülervertretungen), in einen Gesundheitsförderungsprozess einzutreten, sowie
• die Einbindung des Schulträgers und der Schulaufsicht in den Gesamtprozess.

Damit Gesundheitsförderung im Setting Schule wirtschaftlich erfolgt und nachhaltig wirksam wird (Wirtschaftlichkeitsgebot), müssen folgende strukturellen Bedingungen erfüllt sein:
• Bildung einer Steuerungsgruppe bzw. Bestellung eines entscheidungskompetenten Schulprojektteams mit Vertreterinnen/Vertretern aller relevanten Gruppen und Akteure. Die Steuerungsgruppe bzw. das Schulprojektteam beschließt das Vorgehen konzeptionell, sorgt für die Umsetzung und bewertet die erzielten Ergebnisse.
• Bereitschaft der Schule zur Mitwirkung in Netzwerken gesundheitsfördernder Schulen.
• Schulleitung sowie Vertretungen der Lehrkräfte sowie der Schülerinnen und Schüler sind in der Steuerungsgruppe bzw. im Schulprojektteam unverzichtbar.

Darüber hinaus können in der Steuerungsgruppe/ im Schulprojektteam folgende Gruppen mit jeweils unterschiedlicher Verantwortung vertreten sein:
• Eltern,
• Schulträger,
• Schulaufsicht,
• Unfallkassen und Gemeinde-Unfallversicherungsverbände,
• Öffentlicher Gesundheitsdienst,
• Krankenkassen,
• private Krankenversicherungen.

Weitere Akteure sollten je nach Schwerpunkt des Gesundheitsförderungsprojektes und regionalen Gegebenheiten in der Steuerungsgruppe bzw. im Schulprojektteam mitwirken, z. B. Landesvereinigungen für Gesundheit oder vergleichbare Organisationen, kommunale Vertretungen, Vereine (insbesondere Sportvereine), Polizei, Unternehmen, Ärztinnen/Ärzte, Zahnärztinnen/Zahnärzte, Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Stiftungen etc.

Erfahrungen und Empfehlungen aus dem Krankenkassenengagement in und mit Schulen

Schulen, die Gesundheitsförderung dauerhaft in ihre Organisation einbinden wollen, benötigen eine qualifizierte externe Beratung im Sinne einer langfristigen Begleitung. Hierdurch werden die schulinternen Akteure im Aufbau und dem Erhalt von Motivation und Kompetenzen unterstützt, schwierige Phasen leichter überwunden sowie die Nachhaltigkeit gesichert. Die Beratung sollte zunächst relativ engmaschig sein und kann im weiteren Verlauf in Abhängigkeit von den in der Schule selbst aufgebauten Strukturen und Kompetenzen reduziert werden. Geeignete Stellen für die langfristige externe Begleitung sind Landesvereinigungen für Gesundheit und die bei diesen angesiedelten Koordinierungsstellen des Kooperationsverbundes Gesundheitliche Chancengleichheit. Die Mitwirkung in Netzwerken mit anderen Schulen ist sinnvoll, wenn der Aufbau einer Steuerungsstruktur in der Schule fortgeschritten ist.

Gesundheitsförderung in Schulen bringt eine zeitliche und organisatorische Zusatzbelastung für die Beteiligten, insbesondere die Lehrkräfte, mit sich. Dies sollte den Schulen vor Aufnahme von GKV-geförderten Gesundheitsförderungsleistungen deutlich kommuniziert werden. Es hat sich gezeigt, dass nur die Schulen, die auch selbst in den Gesundheitsförderungsprozess investieren und viele mehrdimensionale Aktivitäten in zeitlicher Dichte statt vereinzelt umsetzen, letztlich profitieren. Die Bereitschaft zu einer intensiven Teilnahme am Projekt (Zeiteinsatz, Aktivitätendichte) ist ein Erfolgsfaktor.

Schulen, die an einem Gesundheitsförderungsprozess interessiert sind, sollten mit den für eine Förderung infrage kommenden Krankenkassen zunächst eine Klärungs- und Vorbereitungsphase (probatorische Phase) vereinbaren (der Zeitraum sollte projektbezogen mit den Schulen definiert werden). In dieser Phase muss der Projektaufwand ebenso wie der erwartbare Nutzen (Schulstruktur- und Schulklimaverbesserung, Gesundheitsgewinne für Lehrkräfte und Schüler/innen, Imagestärkung der Einrichtung etc.) schulintern kommuniziert und diskutiert werden.

Am Ende der probatorischen Phase entscheidet die Schule über die Durchführung des Gesundheitsförderungsprojektes. Eine Entscheidung für das Projekt ist in jedem Fall durch einen Beschluss der Schulkonferenz zu dokumentieren und zu legitimieren. Er drückt die gemeinsame Verpflichtung aller Projektbeteiligten zur aktiven Mitwirkung und Umsetzung aus. Zu diesem Zeitpunkt soll eine Rahmenvereinbarung zwischen der Schule, Krankenkasse(n) und ggf. weiteren Akteuren (z. B. Unfallversicherung) mit den jeweiligen Rechten und Pflichten der Partnerinnen und Partner im Gesundheitsförderungsprozess geschlossen werden.

Alternativ kann das Ergebnis der probatorischen Phase auch die Entscheidung der Schule gegen eine weitere Projektteilnahme sein.

Die Rahmenvereinbarung soll auch die Verpflichtung der Schule zu einer Dokumentation und Evaluation enthalten. Hierzu empfiehlt der GKV-Spitzenverband die kontinuierliche Maßnahmendokumentation und mindestens den regelmäßigen Einsatz des Strukturbogens zu festgelegten Zeitpunkten 65 . Darüber hinaus sind in der Rahmenvereinbarung auch verbindliche Zeitpunkte für gemeinsame Zwischenbilanzen zu definieren; diese sollten minimal je Schuljahr einmal stattfinden und dokumentiert werden.

Die Unterstützung durch die Schulbehörden ist erforderlich. Ohne diese Unterstützung, insbesondere der Kultusbehörden und der Schul träger bleibt jedes Engagement noch so motivierter Akteure letztlich wirkungslos, vergeudet Ressourcen und demotiviert diejenigen, die zur Partizipation gewonnen wurden. Mindestens ebenso wichtig wie finanzielle oder infrastrukturelle Unterstützung sind Freistellungen von Unterrichtsstunden als (Teil-)Ausgleich für die zusätzliche Arbeitsbelastung der beteiligten Lehrkräfte. Qualifizierungsmaßnahmen von Lehrkräften im Rahmen des Gesundheitsförderungsprojektes sollten als Fortbildung durch die zuständigen Landeslehrinstitute anerkannt werden. Neben der Ressource „Zeit“ (s. o.) ist die damit verbundene behördliche Wertschätzung für die Beteiligten ein Erfolgsfaktor.

Insofern empfiehlt der GKV-Spitzenverband, die begrenzten Fördermittel nur da einzusetzen, wo die primär Schulverantwortlichen bereit und in der Lage sind, die Einrichtungen auch mit Ressourcen in personeller und infrastruktureller Hinsicht weiterzuentwickeln.

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65 Gemeinsame und einheitliche Evaluationsverfahren zu § 20 SGB V der Spitzenverbände der Krankenkassen (2008). Bergisch Gladbach; Download: www.gkv-spitzenverband.de unter Krankenversicherung -> Prävention, Selbsthilfe, Beratung -> Prävention und betriebliche Gesundheitsförderung -> Qualitätsmanagement (Handbuch Schule).

 

4.7.3 Spezielle Förderkriterien für Leistungen im Setting Schule

Die Krankenkassen bringen sich in die Umsetzung gesundheitsförderlicher Projekte im Setting Schule sowie in die Integration entsprechender Elemente in den Unterricht partnerschaftlich ein. Bei der Entscheidung darüber, in welchen Projekten sich Krankenkassen engagieren, sind die nachfolgenden speziellen Kriterien – in Ergänzung der in Kapitel 4.4 genannten übergreifenden Kriterien zum Setting-Ansatz – handlungsleitend 66 .

• Die Schule dient nicht nur als Zugangsweg zur Erreichung der Schülerinnen und Schüler, sondern ist selbst Gegenstand gesundheitsförderlicher Umgestaltung.
• Zielgruppen sind insbesondere die Schülerinnen und Schüler und deren Familien.
• Der Bedarf der Zielgruppen an gesundheitsfördernden Interventionsmaßnahmen ist begründet – z. B. durch Daten der Gesundheitsberichterstattung sowie einer schulischen Unfall- und Fehlzeitenstatistik.
• Die Projektangebote werden von den Schulen tatsächlich nachgefragt.
• Der Erfolg von Maßnahmen der Gesundheitsförderung in Schulen ist in hohem Maße auf die Umsetzungsfähigkeit und -bereitschaft der Lehrenden angewiesen. Daher müssen auch die gesundheitlichen Belange und Probleme dieser Gruppe unter Berücksichtigung der originären Zuständigkeiten der Schulträger innerhalb der jeweiligen Projekte flankierend berücksichtigt werden.
• Es handelt sich um Gemeinschaftsprojekte mit mehreren Projektbeteiligten bzw. Finanzierungsträgern. Das bedeutet auch, dass sich die übrigen Verantwortlichen (z. B. aus den Bereichen Bildung, Jugendhilfe) ebenfalls zu Gesundheitsförderung als Leitbild und Orientierung bekennen.
• Eine wirksame und effiziente Gesundheits- und Sicherheitsförderungspolitik in Schulen muss darüber hinaus auch die Eltern sowie außerschulische Akteure, wie z. B. Vereine, Freizeiteinrichtungen, Behörden und Gewerbetreibende vor Ort einbeziehen.
• Umsetzung und Ergebnisse der Interventionen werden dokumentiert und evaluiert und allen Projektbeteiligten zur Verfügung gestellt.

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66 Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Kranken- kassen, Bundesverband der Unfallkassen und Beratende Kommission der Spitzenverbände der Krankenkassen für Primärprävention und betriebliche Gesundheitsförderung (2004). Empfehlungen zur Gesundheitsförderung in Schu- len. Bergisch Gladbach und München.