Physiotherapeut/-in (m/w/d)
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Wissenschaftlich gesehen stehen diese Aussagen stark unter Beschuss, denn der biopsychosoziale Charakter von Rückenschmerzen ist unbestritten. Was tragen aber körperliche Faktoren zur Entstehung von Rückenschmerzen bei? Ist Sitzen das neue Rauchen? Oder entsteht Schmerz „nur im Kopf“? Es gibt eine Fülle an Daten zu diesem Thema, die 2020 von einer Arbeitsgruppe um Christopher Swain in einem Umbrella-Review, also einer Zusammenfassung von Meta-Analysen und Übersichtsarbeiten, analysiert wurden.
Wirbelsäulenkrümmung
Zwei von fünf gefundenen Meta-Analysen beziehungsweise Übersichtsarbeiten erkennen in einer verringerten Lordose der Lendenwirbelsäule einen Risikofaktor für die Entstehung eines Schmerzsyndroms. Eine weitere konstatiert einen Zusammenhang zwischen einer verstärkten Lordose in Kombination mit längeren Stehphasen als einen weiteren Risikofaktor.
Im Gegensatz dazu erkennt eine Meta-Analyse, die sich ausschließlich auf Inspektionsbefunde (ohne Studien mit Bildgebung) bezieht, keinen Zusammenhang zwischen Abweichungen der Wirbelsäulenkrümmung und Schmerzen. Die restlichen Studien lassen zu dem Thema keine klaren Aussagen zu.
Stehen
Acht Studien untersuchen das Risiko von Personen, die am Tag überdurchschnittlich lange stehen, an Rückenschmerzen zu erkranken. Die Ergebnisse sind sehr widersprüchlich und zeigen zusammengefasst ein kleines, aber nicht signifikant erhöhtes Risiko für Personen die 71 Minuten und länger am Tag stehen müssen.
Sitzen
Am erstaunlichsten fällt das Ergebnis aus der Betrachtung von sieben Übersichtsarbeiten aus: Es ist in keiner der Arbeiten ein klarer Zusammenhang zwischen sitzender Tätigkeit und Rückenschmerzen zu erkennen. Eine Untersuchung errechnet sogar einen eher protektiven Effekt. In der Studie haben Personen mit sitzender Tätigkeit weniger Rückenschmerzen als der Durchschnitt.
Beugen und Drehen der Wirbelsäule
Insgesamt zehn Arbeiten untersuchen den Zusammenhang zwischen repetitiver Flexion oder Rotation der Wirbelsäule mit Rückenschmerzen. Fünf Übersichtsarbeiten zeigen starke oder überwiegend positive Assoziationen mit Rückenschmerzen. Eine Meta-Analyse findet ein (nicht signifikant) erhöhtes Chancenverhältnis für beugende und drehende Bewegungen. Eine Übersichtsarbeit sagt aus, dass eine Rotation der Wirbelsäule nach langem monotonen Stehen Schmerzen auslöst, eine weitere sieht widersprüchliche Ergebnisse und zwei Übersichtsarbeiten interpretieren aus den Daten keinerlei Zusammenhang.
Ungünstige Haltung
Eine Meta-Analyse und vier Reviews untersuchten den Zusammenhang zwischen ungünstiger („awkward), gebeugter oder „nicht neutralen“ Haltung mit Rückenschmerzen. Während ein Review eine starke Evidenz gegen einen Zusammenhang dieser Positionen mit Schmerzen sah, bestätigten die weiteren vier Arbeiten diese Annahme.
Schwere körperliche Arbeit
Zwar besteht auch bei den 22 Untersuchungen über den Einfluss körperlicher Arbeit, wie schwerem Heben, Drücken, Ziehen oder Tragen auf Rückenschmerzen keine Einigkeit unter den ForscherInnen. Allerdings zeigt die Hälfte der Studien einen klaren Zusammenhang zwischen schwerer Tätigkeit und Rückenschmerzen. Fünf weitere lassen zumindest einen Dosis-Wirkungszusammenhang erkennen. Die AutorInnen der übrigen Untersuchungen zeigen sich allerdings weniger überzeugt über einen klaren Zusammenhang. Eine eindeutige Aussage kann also auch hier nicht getroffen werden.
Vibration
Zehn von zwölf Untersuchungen bestätigen einen Zusammenhang zwischen Ganzkörpervibration (etwa durch Baugeräte) und Rückenschmerzen. Zwei der Übersichtsarbeiten interpretierten aus der Datenlage, dass Personen mit einer höheren Vibrations-„Dosis“ ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Rückenschmerzen hatten. Allerdings konnten zwei Meta-Analysen, die ausschließlich prospektive Kohortenstudien untersuchten, keinen Zusammenhang zwischen Ganzkörpervibrationen und Rückenschmerzen erkennen.
Kommentar des Autors
Der Umfang des Umbrella-Reviews ist beträchtlich, die Überraschungen bleiben größtenteils aus. Einzig und allein der Punkt, dass sogar Sitzen keinen klaren Risikofaktor für Rückenschmerzen darstellt, sollte allen Menschen, die eine Meinung über Rückenschmerzen haben und diese in der Öffentlichkeit verkünden, bewusst machen, dass das Thema komplex ist und wir mit hoher Wahrscheinlichkeit nie die eine Ursache finden werden.
Die Arbeit von Swain et al. ist nicht die erste und wird nicht die letzte ihrer Art sein. Die AutorInnen weisen darauf hin, dass eine so große Arbeit keinen Blick mehr auf Details zulässt und gleichermaßen Arbeiten notwendig sind, die noch einmal genauer die Patientengruppen differenzieren und eventuell doch noch Risikofaktoren differenzierter betrachten zu können.
Sicherlich. Wir werden in den kommenden Jahren mehr Daten zu Gesicht bekommen, die Risikofaktoren für Rückenschmerzen differenzierter aufschlüsseln. Aber schon jetzt ist klar, dass Maßnahmen wie ein höhenverstellbarer Schreibtisch oder ein Kurs im rückengerechten Heben der steigenden Zahl an RückenschmerzpatientInnen kaum etwas entgegenzusetzen hat.
„Sitzen ist das neue Rauchen“ hat es medial zu so viel Aufmerksamkeit gebracht, dass Kassiererinnen in so manch einem neu eröffneten Supermarkt nun stehen müssen. Für viele Einzelhandelskaufleute ist (oder war) der gepolsterte Stuhl an der Kasse die einzige Gelegenheit an einem acht Stunden Tag einmal auszuruhen. Und während TherapeutInnen und Influencer im ganzen Land die Wichtigkeit von Core-Muskulatur und rückengerechtem Heben betonen, sprechen Medien und Stammtische darüber, wie hoch die Zahl der Verletzten Fußballspieler aufgrund der hohen Spielplandichte ist. Da stellt sich schon einmal die Frage, warum die Gesellschaft einerseits versteht, dass ein Athlet nach drei Wettkämpfen in der Woche ein erhöhtes Verletzungsrisiko aufweist, aber anerkennt, dass die Pflegekraft oder der Handwerker bei einer Sechstagewoche alleinig durch eine ergonomische Arbeitsweise, Einlagesohlen und ein bisschen Diät Rückenschmerzen schon sicherlich in den Griff bekommen wird.
Ja, wir reden hier über ein Gesellschaftsproblem, und eine medizinische Fachkraft allein wird an diesen Umständen nichts ändern. Umso wichtiger ist es aber den Leuten keine vermeintlich einfachen Lösungen zu präsentieren, die sie am Ende nur enttäuschen werden. Nur wenn das Kollektiv seriös kommuniziert, werden (vielleicht und hoffentlich) die ersten ArbeitgeberInnen merken, dass sie mehr von ihren Fachkräften haben, wenn sie alle Faktoren des menschlichen Lebens berücksichtigen. Eine gesunde Work-Life Balance, regelmäßige Bewegung, „Seelenhygiene“ und Erholungsmöglichkeiten sind wichtige (vielleicht die wichtigsten?) Bestandteile im Kampf gegen Schmerzen. Wenn diese Faktoren erfüllt sind, kann für die Arbeitsstätte interessant werden, welche Hebeweise vielleicht noch etwas günstiger ist. Aber auch erst dann.
Daniel Bombien / physio.de
RückenschmerzenUrsachePräventionTherapieStudieKommentar
das sind meine beruflichen Erfahrungen und es gibt natürlich oft statische jugendliche Ursachen.
Erfordert ein totales ERLERNEN + Umdenken vom Patienten und Bereitschaft sich kraftvoll a 60 min einzubringen mit einem verordnungswilligen Doktor vorausgesetzt!
Wir kennen doch Alle den Zirkus mit RÜCKENSCHULE!
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Norbert Meyer schrieb:
Fehlbelastungen heraus aus der Nutzung der Schokoladenseite und die wiederum werden gestützt durch individuelle Dysbalancen der Person, egal ob Weltmeister - Altersgreis
das sind meine beruflichen Erfahrungen und es gibt natürlich oft statische jugendliche Ursachen.
Erfordert ein totales ERLERNEN + Umdenken vom Patienten und Bereitschaft sich kraftvoll a 60 min einzubringen mit einem verordnungswilligen Doktor vorausgesetzt!
Wir kennen doch Alle den Zirkus mit RÜCKENSCHULE!
Der Begriff der "biopsychosozialen" Faktoren in der Entstehung reiht sich ein in eine ganze Gruppe wohlklingender Umschreibungen der eigenen Ahnungslosigkeit (idiopathisch, primär, essentiell etc.) - oder vom Desinteresse.
Würde man das wörtlich nehmen, kämen - zumindest bei schweren und chronischen Verläufen - Therapeut_innen aus unterschiedlichen Berufen (Medizin, Sozialarbeit, Heilmittel, Ernährung) zum Einsatz. Beispiele dafür gibt es ja (Dr. Dobos in Essen).
Eines sollte man aber immer beachten: Bewegungstherapie in all ihren Facetten wirkt auch biopsychosozial.
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springlukas schrieb:
Man redet nicht umsonst von Schmerz-empfindung und Schmerz-wahrnehmung. Darin enthalten ist das Wissen, daß Schmerz mehr ist als reine Schadensverarbeitung.
Der Begriff der "biopsychosozialen" Faktoren in der Entstehung reiht sich ein in eine ganze Gruppe wohlklingender Umschreibungen der eigenen Ahnungslosigkeit (idiopathisch, primär, essentiell etc.) - oder vom Desinteresse.
Würde man das wörtlich nehmen, kämen - zumindest bei schweren und chronischen Verläufen - Therapeut_innen aus unterschiedlichen Berufen (Medizin, Sozialarbeit, Heilmittel, Ernährung) zum Einsatz. Beispiele dafür gibt es ja (Dr. Dobos in Essen).
Eines sollte man aber immer beachten: Bewegungstherapie in all ihren Facetten wirkt auch biopsychosozial.
Im Kreuz laden sich neg. Emotionen ab, das ist vielleicht deutlicher als das bio-psycho-soziale Modell, dem noch der Faktor Sport fehlt. Wer allein Fan ist und wessen Verein verloren hat, leidte ja auch schon, wir leben in einer verrückten Welt.
Vielfältige, abwechslungsreiche körperliche Aktivität, nicht nur die der Finger, ist also wohl ein Schlüssel bei den häufigstenRückenschmerzen ohne Nervenwurzelzeichen.
MfG hgbblush
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hgb schrieb:
... zum Thema Sitzen nur der Hinweis: Im Arbeitsleben haben wir durch die Forderungen der gewerbl. BG's heute überwiegend Stühle mit beweglichen Sitzflächen und Rückenlehnen, anders als noch heute beim Schulgestühl. Haltungsschäden bei Kindern werden m. E. n. mehr, die der Berufstätigen mit Schmerz eher weniger. Sitzen ist also überaus unterschiedlich.
Im Kreuz laden sich neg. Emotionen ab, das ist vielleicht deutlicher als das bio-psycho-soziale Modell, dem noch der Faktor Sport fehlt. Wer allein Fan ist und wessen Verein verloren hat, leidte ja auch schon, wir leben in einer verrückten Welt.
Vielfältige, abwechslungsreiche körperliche Aktivität, nicht nur die der Finger, ist also wohl ein Schlüssel bei den häufigstenRückenschmerzen ohne Nervenwurzelzeichen.
MfG hgbblush
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