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Hierzu fassen sie aktuelle Veröffentlichungen übersichtlich und verständlich zusammen und bereiten sie für die klinische Praxis auf.
Sie verstehen sich als Vernetzungspunkt der evidenzbasierten Physio- und Trainingstherapie. Alle weiteren Informationen zur Arbeit von Physio Meets Science finden Sie hier.
Lesen Sie heute einen exklusiven Beitrag zum Thema chronischer, unspezifischer Rückenschmerz.
Training ist ein Grundbaustein der Therapie von chronischen, unspezifischen Rückenschmerzen und wird in diversen hochqualitativen Leitlinien empfohlen.[1] Die vorherrschende Meinung ist, dass sehr viele Formen des Trainings quasi gleichwertig in der Lage sind, nichtspezifische Kreuzschmerzen zu verbessern.[2] Ein belgisches Forscherteam[3] machte sich nun mit einer neuartigen Form der Datenanalyse daran, diese Frage genauer unter die Lupe zu nehmen: „Welche Form des Trainings ist bei diesem Volksleiden am effektivsten?“
Zur Beantwortung dieser Frage wurde keine „einfache“ systematische Übersichtsarbeit mit Metaanalyse, sondern eine Netzwerkmetaanalyse verwendet. Eine Netzwerkmetaanalyse erlaubt neben direkten, paarweisen Vergleichen von Interventionen auch einen indirekten Vergleich von Interventionen. Das bedeutet, dass hier auch Ergebnisse, die nicht direkt in Form randomisierter, kontrollierter Studien gegeneinander gewonnen wurden, in Form einer Netzwerkmetaanalyse (unter bestimmten Annahmen) miteinander verglichen werden können. Des Weiteren liefert eine Netzwerkmetaanalyse die Möglichkeit, verschiedene Interventionen in einer Rangfolge von bester zu schlechtester Intervention zu bewerten.
In dieser Netzwerkmetaanalyse wurden 89 Studien analysiert:
- • 70 Studien untersuchten die Wirkung von Training auf Schmerz,
- • 63 Studien die Wirkung auf Funktion,
- • 16 Studien die Wirkung auf die mentale Gesundheit und
- • 4 Studien die Wirkung auf die Rumpfmuskelkraft
Untersucht wurden folgende Interventionen:- • Pilates,
- • Krafttraining,
- • Stretching,
- • McKenzie-Übungen,
- • Yoga,
- • Flexionstraining,
- • wasserbasiertes Training,
- • multimodales Training,
- • stabilisierendes Training/Training der motorischen Kontrolle und
- • „andere Formen“
Als Kontrollgruppe wurden folgende Gruppen gebildet:- • „wahre Kontrolle“ (keine oder minimale Intervention),
- • „hands-on-Behandlungen“ und
- • „hands-off-Behandlungen“
Die Qualität der eingeschlossenen Studien war insgesamt niedrig.Ergebnisse der Analyse
Die besten Interventionen (höchste Wahrscheinlichkeit) in Abhängigkeit zu folgenden Parametern:
Schmerz:
- • Pilates (SUCRA[4] = 100 %, SMD[5] -1.86, 95 % KI (-2.54 bis -1.19),
- • Krafttraining (SUCRA= 80 %,SMD -1.14, 95 % KI (-1.71 bis -0.56) und
- • Stabilisation/motorische Kontrolle (SUCRA= 80 %, SMD -1.13, 95 % KI (-1.53 bis -0.74).
Funktion:- • Krafttraining (SUCRA= 80 %, SMD -1.26, 95 % KI (-2.10 bis -0.41) und
- • Stabilisation/motorische Kontrolle SUCRA= 80 %, SMD -1.13 (-1.53 bis -0.74)
mentale Gesundheit- • aerobes Training (SUCRA= 80 %, SMD -1.18, 95 % KI (-2.20 bis -0.15) und
- • Krafttraining (SUCRA= 80 %, SMD -1.26, 95 % KI (-2.10 bis -0.41)
„Wahre Kontrolle“ schien die schlechteste Intervention (SUCRA <10 %) für alle Therapieziele zu sein, gefolgt von „hands-off-Behandlungen“ für Schmerz und Funktion und „hands-on-Behandlungen“ für die mentale Gesundheit.Die Effektstärken von Stretching und McKenzie-Übungen unterschieden sich für Schmerz oder Funktion nicht gegenüber „wahrer Kontrolle“.
Fazit der Autoren
„Es gibt Evidenz niedriger Qualität, dass Pilates, Stabilisierung/motorische Kontrolle, Krafttraining und aerobes Training die wirksamsten Behandlungen bei chronischen, unspezifischen Rückenschmerzen sind. Ein Training könnte effektiver als eine „hands-on-Behandlung“ sein.
Kritische Diskussion
Die Resultate dieser Netzwerkmetaanalyse sollten jedoch mit Vorsicht betrachtet werden. Zunächst ist die niedrige Studienqualität der Analyse zu bedenken, die zumindest die Stärke der Aussagekraft der Resultate limitiert.
Die Bildung der Komparatoren (Kontrollgruppen) wurde teilweise nicht ausreichend von den Autoren gerechtfertigt. Man kann es zumindest als fraglich ansehen, dass „hands-on-Behandlungen“ und „hands-off-Behandlungen“ als generelle Kontrollen verwendet wurden. Sind diese Gruppen nicht deutlich zu heterogen?
Eine hohe methodische und statistische Heterogenität der Studien liegt vor. Die Studien variieren in vielen Parametern deutlich hinsichtlich Alter (20-70 Jahre), Studiendauer (4-24 Wochen), Geschlecht (einige Studien inkludierten nur Männer oder Frauen), Schmerzdauer in der Basislinie (12-725 Wochen), durchschnittlicher Schmerzintensität (21-79/100 Punkten), Trainingsfrequenz (1-7 mal pro Woche, bzw. für „Hands-on“ Kontrolle zwischen 0.3-5 Tage pro Woche), so dass man durchaus fragen kann, ob man hier nicht teilweise „Äpfel mit Birnen vergleicht“. McKenzie als reine Extensionsübungen ohne Clinical Reasoning-Prinzipien darzustellen, ist aus unserer Sicht zudem kritisch zu hinterfragen.[6] Diese methodische Heterogenität spiegelt sich dann auch in einer hohen statistischen Heterogenität der paarweisen Vergleiche (gemessen durch I²) wider.[7] Die Autoren bleiben allerdings eine Erklärung für diese Heterogenität schuldig.
Dies schlägt sich auch in den ermittelten Effektstärken nieder. Die dargestellten Effektstärkten (SMDs) für Pilates und Stabilisation/motorische Kontrolle sind deutlich (!) höher als die Effektstärken in qualitativ hochwertigen Metaanalysen. Z.B. für Schmerz (Mittelwertdifferenz (MD) -14.05, 95 % KI-18.91 bis -9.19) kurzfristig im Vergleich zu einer inaktiven Kontrolle.[8] Die ermittelte SMD aus der NMA ergibt umgerechnet eine MD von -37 Punkten! Die MD für einen kurzfristigen Effekt auf Schmerz im Vergleich zu einer inaktiven Kontrolle für Stabilisation/motorischer Kontrolle ist MD -10.01 (-15.67 bis -4.35).9 Die NMA gibt hier eine MD von -26 Punkten an. Wie können diese Differenzen erklärt werden?
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Ergebnisse dieser Netzwerkmetaanalyse mit Vorsicht zu genießen sind, gerade weil diese Arbeit als erste ihrer Art sicher einen bedeutenden Impact auf die gesamte Therapieszene haben wird.
Quellennachweis:
Mehr Lesen über
(1) Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz – Leitlinienreport, 2. Auflage. Version 1. 2017 [cited: 01.11.2019]. DOI: 10.6101/AZQ/000330. www.kreuzschmerz.versorgungsleitlinien.de, Scottish Intercollegiate Guidelines Network: Management of Chronic Pain. [cited 2019 Jul 19]. Available from: http://www.wales.nhs.uk/sites3/Documents/490/SuspectedAnginaFullGuidelines.pdf%5Cnhttp://sign.ac.uk/guidelines/fulltext/136/index.html , National Guideline Centre (UK). Low back pain and sciaticain over 16s assessment and management. London, UK:
National Institute for Health and Care Excellence; 2016, Toward Optimized Practice (TOP) Low Back Pain Working Group. 2015 December. Evidence-informed primary care management of low back pain: Clinical practice guideline. - Minor Revision 2017 (3rd ed). [cited 2019 Jul 19]. Available from: http://www.topalbertadoctors.org/cpgs/885801
(2) Van Middelkoop, Marienke, et al. "Exercise therapy for chronic nonspecific low-back pain." Best practice & research Clinical rheumatology 24.2 (2010): 193-204.
(3) Owen PJ, Miller CT, Mundell NL, et al. Br J Sports Med Epub ahead of print: [1.11.2019]. doi:10.1136/bjsports-2019-100886
(4) SUCRA: (Surface under the cumulative ranking curve ) Kurve : Kumulierte Wahrscheinlichkeiten für die Rangfolge der jeweils besten Intervention.
(5) SMD: (Standardized Mean Difference) Effektstärke: Werte über 0.8 gelten als hohe Effektstärke (nach Cohen).
(6) Halliday, Mark H., et al. "Treatment Effect Sizes of Mechanical Diagnosis and Therapy for Pain and Disability in Patients With Low Back Pain: A Systematic Review." journal of orthopaedic & sports physical therapy 49.4 (2019): 219-229.
(7) Donegan, Sarah, et al. "Assessing key assumptions of network meta-analysis: a review of methods." Research synthesis methods 4.4 (2013): 291-323, Kiefer, Corinna, Sibylle Sturtz, and Ralf Bender. "Indirect comparisons and network meta-analyses: estimation of effects in the absence of head-to-head trials—part 22 of a series on evaluation of scientific publications." Deutsches Ärzteblatt International 112.47 (2015): 803.
(8) Yamato, Tiê P., et al. "Pilates for low back pain." Cochrane Database of Systematic Reviews 7 (2015).
(9) Saragiotto, Bruno T., et al. "Motor control exercise for nonspecific low back pain: a Cochrane review." Spine 41.16 (2016): 1284-1295.
PMSRückenschmerzenTrainingTherapieStudie
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Felix Schmitz-Justen schrieb:
Ich bin ein großer Fan von physio-meets-science, insbesondere von deren Recherchen. Leider fallen die Deutungen und Diskussionen häufig komplett unreflektiert, überinterpretiert und fehlerhaft aus. Besonders aufgefallen bei dem Artikel über Wirksamkeit von MT bei kapsulärer Steifigkeit der Schulter. Danke für die mühevolle Zusammenfassung deinerseits, ich stimme voll und ganz zu.
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WinnieE schrieb:
nichts für ungut, aber ich bin nach dem Lesen des Betrags genau so schlau/nicht schlau wie vorher. Kann sein, dass das ausschliesslich an mir liegt.......
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J.H. schrieb:
Bei einem Ergebnis"Evidenz niedriger Qualität" kann man die Aussagefähigkeit des Artikels ruhigen Gewissens schnell wieder vergessen.
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