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Im März rief die DGS zum virtuellen Schmerz- und Palliativtag 2022. Dr. Michael Überall aus Nürnberg, seines Zeichens Vizepräsident der Schmerzgesellschaft, hielt eine vielbeachtete Rede. „An Wirbelsäule und großen Gelenken wird zu viel operiert“, war eine seiner Kernaussagen. Betrachtet man die schiere Menge an Operationen und stellt die wissenschaftliche Datenlage dem entgegen, ist diese Aussage absolut nachvollziehbar. Im Jahr 2020 wurden trotz der Pandemielage 735.000 Wirbelsäulen- und 580.000 Gelenkoperationen durchgeführt.
Ganz anders klingen da die Äußerungen der Deutschen Wirbelsäulengesellschaft. Diese beklagte Anfang letzten Jahres noch den „dramatischen“ Rückgang von Wirbelsäulenoperationen um zehn Prozent durch die Pandemie().
Forderungen
Angesichts der allgemein hohen Anzahl an Operationen fordert die DGS, künftig das Zweitmeinungsverfahren zum Standard werden zu lassen. „Bisherige optionale Angebote müssen zwingend zu einem obligaten Verfahren werden“, so Überall zum Auftakt der Konferenz. Dabei stellt er zudem die Wichtigkeit des vollständigen interdisziplinären Programmes in den Fokus. Es dürfe nicht sein, dass einzelne Ärzte derselben Fachrichtung diese Zweitmeinung äußern. „Die Entscheidung für bzw. gegen eine operative Intervention muss obligat unter Einbeziehung mehrerer unabhängiger konservativer Fachexperten getroffen werden.“
„Indikation zur OP ist meist nicht gerechtfertigt.“
Dass dieses Vorgehen funktionieren kann, zeigt das Integrated Manage Care (IMC)-Netzwerk, in dem deutschlandweit 30 zertifizierte Schmerzzentren organisiert sind. Durch Selektivverträge mit sieben gesetzlichen Krankenkassen entstand diese Kooperation. In dem Zweitmeinungsprogramm wurden bis Ende 2021 über 7.500 PatientInnen mit Rückenschmerzen, die eine OP-Empfehlung erhielten, begutachtet. Bei gerade einmal 2,4 Prozent der Fälle stimmten die Gutachter der OP-Empfehlung zu. Somit konnten 7.320 operative Eingriffe verhindert werden.
Eine weitere Erhebung zur Gelenkendoprothetik stellte der Vizepräsident ebenfalls vor. In der Statistik aus dem Zeitraum von 2019 bis 2021 ergaben sich lediglich in knapp 13 Prozent der Fälle eine Notwendigkeit des Gelenkersatzes.
Das IMC-Netzwerk
Im Zweitmeinungsprogramm erhalten PatientInnen innerhalb von sieben Werktagen einen Termin für die Begutachtung. Auch finanziell sei dieses Vorgehen „gut darstellbar“, sagte Überall. Zudem solle die Leistungsvergütung verändert werden. Statt des bisherigen „Pay for Procedure“, also der Fallpauschale, sollte vielmehr ein „Pay for Outcome“ bzw. „Pay for Results“ angestrebt werden.
In der Region Köln/Bonn ist beispielsweise Dr. Küster ein Ansprechpartner des Netzwerks. Unser Autor Daniel Bombien ist ebenfalls Teil dieses interdisziplinären Teams.
Nicht nur Meinung
Betrachtet man die wissenschaftliche Datenlage hinsichtlich des Nutzens von Operationen, bestätigen sich die Aussagen der Schmerzgesellschaft.
So zeigen Metaanalysen zu Bandscheibenoperationen keinen Vorteil gegenüber einen konservativen Ansatz. Gleiches gilt für Meniskusverletzungen und Kreuzbandrupturen. Zum Thema Gelenkersatz berichteten wir kürzlich über die Vorteile des GLA:D-Programmes.
Fazit
Starke Worte der DGS stärken die Physiotherapie. Neben der Forderung, ein interdisziplinäres Zweitmeinungsprogramm zum Standard zu machen, wird der Ruf nach bevorzugt konservativer Therapie laut.
Gegenüber OperateurInnen und Kliniken findet der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin deutliche Worte: „Auf dem Rücken schmerzkranker Menschen“ verdienten sich diese eine goldene Nase.
Nun ist es an den Heilberufen, ihren Stellenwert durch ein qualitativ hochwertiges und wissenschaftlich orientiertes Vorgehen weiter zu stärken. Denn auch für sie gilt die entsprechende Forderung nach dem „Pay for Results“.
Martin Römhild / physio.de
DGSKritikSchmerzenOPkonservative TherapieBandscheibeMeniskusKreuzbandRupturPhysiotherapieGLA:D
Wie schön, wenn diese - eigentlich nicht neuen - Erkenntnisse auch bei uns bald in der Realität Einzug halten und praktisch umgesetzt würden.
Würde man, mit einem Blick in´s Ausland, wie etwa Niederlande, zudem das Thema Krankenhauskeime ernsthaft unter die Lupe nehmen, welch ein Gewinn für die allgemeine Volksgesundheit!
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WinnieE schrieb:
Danke für diesen Bericht.
Wie schön, wenn diese - eigentlich nicht neuen - Erkenntnisse auch bei uns bald in der Realität Einzug halten und praktisch umgesetzt würden.
Würde man, mit einem Blick in´s Ausland, wie etwa Niederlande, zudem das Thema Krankenhauskeime ernsthaft unter die Lupe nehmen, welch ein Gewinn für die allgemeine Volksgesundheit!
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Daniel Bombien schrieb:
Es braucht dringend eine flächendeckendere Möglichkeit dieses Angebot wahrzunehmen. Die Menschen nehmen teilweise eine Reise von 150km auf um zu uns zu kommen und das 12 Wochen dauernde Programm (mit einer Sitzung pro Woche) wahrzunehmen. Betonen möchte ich hier auch die Wichtigkeit von interdisziplinärer Arbeit. Bei uns arbeiteg ein Schmerzarzt mit Hilfe einer Psychologin und uns PhysiotherapeutInnen zusammen. Ich denke sogar das ist ein Mindestmaß. Auch die Ergotherapie kann hier sicherlich eine wichtige Rolle spielen, ist aber bisher nicht vorgesehen. L
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Badde schrieb:
Guter Beitrag. Mir persönlich sagen die absoluten Zahlen aber wenig. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung und dann im Vergleich zu anderen Industrienationen wäre es hilfreicher.
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hgb schrieb:
M. E. liegt das Problem in der Unterfinanzierung der Medizin, es wird nicht genug zugehört (Anamnese) und klinisch, wie bei PT's allein mgl., untersucht. Technik und OP's bringen das Geld. Wer mit Preisen von 1998 heute arbeiten muß (das ist die immer noch heute gültige Gebührenordnung für Ärzte!!) der muß zusehen, wo das Geld herkommt. IGEL allein wird es nicht richten! Die jungen Kollegen, ich bin über 70 J. alt, haben nichtmehr gelernt, sorgfältig zu untersuchen und eine Diffentialdiagnostik zu betreiben! Alledings werden bei den Schmerzpatienten klare Diagnosen oft vorausgesetzt. Mir kamen auch schon Pat. über den Weg, die wegen Nebenwirkungen der Med. diese nicht nahmen und dann hier eine behandelbare Diagnose incl. lindernder Probebehandlung bekamen. Die Arbeit im Team ist wichtig, es muß aber alle Gesichtspunkte abdecken! Das bedeutet, die somatischen Zeichen gründlich zu untersuchen. Funktionsstörungen sind nämlch viel häufiger als Strukturstörungen. MfG hgbblush
Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsdefizit.
Außerdem werden innerhalb des Systems finanziell falsche Anreize gesetzt, die dann zu entsprechenden Ergebnissen führen.
Wenn sich das Anreizsystem nicht verändert, werden wir folgenlos weitere 30 Jahre über zu viele und falsche OPs diskutieren.
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hgb schrieb:
.. der Anreiz ist ja inzwischen so, daß kaum noch ein Arzt eine Praxis oder einen Teil der GP haben will. Die Med. Konzerne kaufen Sitze auf und rechnen "optimiert" ab! Das ist auch kein Erkenntnisproblem, aber ein Zeichen der Unterfinanzierung und der falschen Anreize, weil man nur noch durch "OP-orzismus" - operieren auf Deibel komm raus - Geld verdienen kann. Die Zahl der Kinderärzte sinkt auch deswegen, Internisten z.B. machen immer mehr invasive Diagnostik mit Schläuchen und Kameras, das wird auch bezahlt. MfG hgbblush
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Jens Uhlhorn schrieb:
Ich bin seit 31 Jahren Physiotherapeut und führe immer noch die gleiche Diskussion.
Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsdefizit.
Außerdem werden innerhalb des Systems finanziell falsche Anreize gesetzt, die dann zu entsprechenden Ergebnissen führen.
Wenn sich das Anreizsystem nicht verändert, werden wir folgenlos weitere 30 Jahre über zu viele und falsche OPs diskutieren.
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