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Das Lipödem
Etwa jede zehnte Frau in Deutschland ist von einem Lipödem betroffen. Das Lipödem wurde erstmals im Jahr 1940 von Edgar V. Allen und Edgar A. Hines beschrieben. Gemäß der Definition handelt es sich um eine Fettverteilungsstörung der Beine, die fast ausschließlich Frauen betrifft. In der Regel sind die Füße nicht betroffen. Schmerzen in den Beinen sind häufig.
Außer der Erweiterung auf die mögliche Betroffenheit der oberen Extremitäten hat sich wenig geändert. Das Lipödem wird als schmerzhafte, disproportionale und symmetrische Fettverteilungsstörung der Extremitäten beschrieben, die fast ausschließlich bei Frauen auftritt. Dies ist die aktuelle Definition des Lipödems.
Wenn eine nicht-schmerzhafte Fettverteilungsstörung vorliegt, wird dies als Lipohypertrophie bezeichnet und fällt nicht unter diese Leitlinie. Das Lipödem muss von der schmerzfreien Fettverteilungsstörung unterschieden werden. Es betrifft ausschließlich die oberen und/oder unteren Extremitäten, niemals jedoch Kopf, Hals und Rumpf. Es bedingt keine Adipositas und wird durch diese auch nicht begünstigt. Eine Koinzidenz von Lipödem und Adipositas ist jedoch möglich. Der Body-Mass-Index (BMI) ist bei der Unterscheidung zwischen Lipödem und Adipositas unzuverlässig (siehe unser Bericht vom Juni 2022). Zur Differenzierung ist daher eine Gegenüberstellung von Taillen-Größen-Verhältnis (TGV) und BMI bei den Betroffenen zu bevorzugen (Auf Grund des Charakteristikums eines Lipödems haben Betroffene oft ein normales TGV, aber einen erhöhten BMI).
In der Vergangenheit wurde außerdem häufig ein „knotiges“ Fettgewebe als Kriterium verwendet. Aufgrund mangelnder Validität sollte diese Untersuchung nicht mehr zur Diagnosestellung herangezogen werden.
Obwohl sich die Datenlage aus der Ursachenforschung in den letzten Jahren massiv verbessert hat, wird aufgrund des facettenreichen Symptombildes weitere Forschung empfohlen.
Symptome
Neben der Fettverteilungsstörung sind Druck-, Berührungs- und Spontanschmerzen sowie Schweregefühle die Kardinalsymptome des Lipödems. Eine isolierte disproportionale Vermehrung des Fettgewebes soll nicht unter der Diagnose Lipödem geführt werden. Folgende Klassifikation sollte beschreibenden Charakter haben und nicht den Schweregrad angeben:
Eine Stadieneinteilung existiert bisher nicht. Daher soll die Klassifikation nicht missbräuchlich dafür verwendet werden. Sie dient ausschließlich der Beschreibung der Ausbreitung des Lipödems.
Therapieempfehlungen
Kompressionstherapie (KT)
Die Kompressionstherapie (KT) stellt mit der höchsten Empfehlungsstufe (soll) den zentralen Bestandteil der Behandlung des Lipödems dar. Sie ist die effektivste Strategie zur Schmerzreduktion und Minderung des Spannungsgefühls. Es sollten medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS) verwendet werden. Zu Beginn der Versorgung kann die Verwendung von Kompressionsverbänden (KV) oder medizinisch adaptiven Kompressionssystemen (MAK) indiziert sein. Jedoch ist dies in der Regel nur dann notwendig, wenn neben dem Lipödem auch Ödeme anderer Ursache vorliegen, da es anfangs zu Umfangsveränderungen durch die Kompressionsversorgung kommen kann. Den Patientinnen soll außerdem vermittelt werden, dass die Kompression nicht zur Reduktion des Fettgewebes beiträgt. Das Material und die Verarbeitung sollen individuell für jeden Einzelfall gewählt werden. Eine klare Empfehlung einer generellen Kompressionsklasse (KKL) soll nicht erfolgen.
Intermittierende Pneumatische Kompressionstherapie (IPK)
Eine weitere Empfehlung erhält die intermittierende pneumatische Kompressionstherapie (IPK). Sie sollte zur Schmerzlinderung und Reduktion potenzieller Begleitödeme anderer Ursache eingesetzt werden. Wie beim Lymphödem ist der Vorteil der IPK die gute Wirkung bei deutlich geringeren Kosten. Gleichzeitig ermöglichen die Apparate eine häufigere Anwendung durch Heimtherapie.
Manuelle Lymphdrainage (MLD)
Wenn eine Kompressionstherapie nicht anwendbar ist oder die Kombination aus Kompression, Training und allgemeinem Bewegungsprogrammen keine ausreichende Schmerzlinderung bewirkt, kann eine Manuelle Lymphdrainage (MLD) verordnet werden. Es sollte jedoch bevorzugt auf die IPK zurückgegriffen werden.
Trainingsprogramme und Bewegung
Trainingsprogramme und Bewegung in Kompression sollen als wichtige Elemente in das therapeutische Gesamtkonzept einbezogen werden. Dazu gehören sowohl aerobes Training als auch Krafttraining. Die Anleitung zu einem kontinuierlichen aktiven Lebensstil und die Option der Wassergymnastik sollen den Patientinnen ebenfalls unbedingt an die Hand gegeben werden.
Medikamente
Im Kontext der medikamentösen Therapie wird explizit von Diuretika abgeraten (soll nicht). Der Einsatz von Schmerzmedikamenten kann initial oder bei einer besonderen Verschlechterung des Befundes genutzt werden. Medikamente die als Nebenwirkung eine Gewichtszunahme oder Ödembildung begünstigen sollten nicht verwendet werden, außer die Einnahme ist unvermeidbar.
Psychosoziale Faktoren
Aufgrund des hohen Leidensdrucks der Betroffenen sollen auch psychosoziale Faktoren in die Therapie einbezogen und entsprechende Hilfestellung angeboten werden. Psychische Störungen wie Depressionen oder Essstörungen sollten interdisziplinär mitbehandelt werden.
Operative Versorgung
Die Liposuktion soll eingesetzt werden, um das betroffenen Unterhautfettgewebes nachhaltig zu reduzieren. Diese Empfehlung gilt explizit nicht für schmerzfreie Lipohypertrophie.
Die Operation ist indiziert bei therapierefraktären Schmerzen, Mobilitätseinschränkungen sowie dermatologischen oder orthopädischen Folgen – aber es ist sehr wichtig darauf zu achten, dass es sich wirklich um ein Lipödem handelt. Hierfür spräche z. B. ein normales TGV (0,55) in Verbindung mit einem BMI von über 40.
Auf Grund des gängigen Schönheitsideals leiden minderjährige Jugendliche (vor allem weibliche) unter höherem sozial erzeugten Druck. Daher ist bei PatientInnen unter 18 auf eine besonders strenge Indikationsstellung zu achten.
Es wird besonders darauf hingewiesen, dass die Stadieneinteilung nicht mehr zur Indikationsstellung herangezogen werden soll. Der operative Eingriff soll gewebe- und lymphgefäßschonend durchgeführt werden.
Nach einer Liposuktion sollte unmittelbar mit der komplexen physikalischen Entstauungstherapie begonnen werden. Diese umfasst:
• Manuelle Lymphdrainage,
• Kompression,
• Training,
• Hautpflege und
• Selbstmanagement.
Zusammenfassung
Die Empfehlungsgrade in Leitlinien lauten
- • soll: absolut empfohlen – muss jede/r bekommen
absolut empfohlen – muss jede/r bekommen („soll“)• sollte: moderat empfohlen – für die Mehrheit sinnvoll
• kann: neutral – nur bei seltenen Einzelfällen nötig
• sollte nicht: nicht empfohlen – nur in absoluten Einzelfällen erlaubt
• soll nicht: „verboten“
- • medizinische Kompressionsstrümpfe (MKS) - Material und die Verarbeitung individuell für jeden Einzelfall wählen
moderat empfohlen – für die Mehrheit sinnvoll („sollte“)• Patientenschulung bzgl. Tatsache, dass die Kompression nicht zur Reduktion des Fettgewebes beiträgt
• Trainingsprogramme und Bewegung in
• psychosoziale Faktoren in die Therapie einbeziehen und entsprechende Hilfestellung anbieten
• Liposuktion zur Reduzierung von betroffenen Unterhautfettgewebe (gilt aber explizit nicht für schmerzfreie Lipohypertrophie)
• Strenge Indikationsstellung einer Liposuktion bei minderjährigen Lipödem-PatientInnen
• OP gewebe- und lymphgefäßschonend
- • Klassifikation hat beschreibenden Charakter haben und gibt nicht den Schweregrad an.
neutral – nur bei seltenen Einzelfällen nötig („kann“)• Intermittierende pneumatische Kompressionstherapie (IPK) zur Schmerzlinderung und Reduktion potenzieller Begleitödeme
• Interdisziplinäre Mitbehandlung von psychischen Störungen wie Depressionen oder Essstörungen
• Nach Liposuktion unmittelbarer Beginn einer Komplexen Physikalischen Entstauungstherapie (KPE)
- • Manuelle Lymphdrainage (MLD), wenn eine Kompressionstherapie nicht anwendbar oder die Kombination aus Kompression und Training keine ausreichende Schmerzlinderung bewirkt
nicht empfohlen – nur in absoluten Einzelfällen erlaubt („sollte nicht“)• Schmerzmedikamenten initial oder bei einer besonderen Verschlechterung des Befundes
- • „knotiges“ Fettgewebe zur Diagnosestellung heranziehen
„Verboten“ („soll nicht“)• isolierte disproportionale Vermehrung von Fettgewebe unter der Diagnose Lipödem führen
• Medikamente mit Nebenwirkung Gewichtszunahme oder Ödembildung
• Stadieneinteilung zur Indikationsstellung heranziehen
- • eine klare Empfehlung einer generellen Kompressionsklasse (KKL)
Martin Römhild B.Sc. / physio.de• Diuretika
PS: Kleiner Hinweis für Interessierte
An dieser Stelle erlauben wir uns auf die nächste Fachtagung für MedizinerInnen und FachexpertInnen der LipödemGesellschaft am 15. Juni 2024 hinzuweisen. Als Referentinnen sprechen u. a. MdB Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90 die Grünen) und MdB Simone Borchardt (CDU/CSU).
Aktualisierung vom 25. März 2024:
Die ältere Version dieses Beitrages enthielt einen Fehler bezüglich der Liposuktion bei Minderjährigen. Wir haben dies korrigiert und danken unserem aufmerksamen Leser Lutz Homann, der uns darauf hinwies.
LipödemLeitlinieLymphdrainageLiposuktionKompressionTrainingMedikamenteBMI
Erlebe es immer mal wieder, dass Lipödempatienten der festen Überzeugung sind sie brauchen unbedingt MLD weil es der Arzt sagte oder auch mal ein vergangener Therapeut(manche füllen ihre Arbeitszeit durchaus gerne mit sowas) - der Hinweis Kompression reicht sie können in Zukunft mehr Freizeit verbringen und müssen nicht 2x Woche über 1h zur Dauer MLD einplanen (incl. Fahrtzeit) wird mit Ablehnung reagiert und in Vorwurf: sie haben nur keinen Bock auf MLD bei mir zu machen umgewandelt. Strumpf Compliance ist je nach Schweregrad oft schlecht (bei milden Fällen vor allem).
Trotzdem die feste Überzeugung die MLD würde das voranschreiten verhindern/verzögern. Unglaublich schwer gegen solche Überzeugungen anzureden...
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Problem beschreiben
Gert Winsa schrieb:
Die Anpassung finde ich sehr sinnvoll.
Erlebe es immer mal wieder, dass Lipödempatienten der festen Überzeugung sind sie brauchen unbedingt MLD weil es der Arzt sagte oder auch mal ein vergangener Therapeut(manche füllen ihre Arbeitszeit durchaus gerne mit sowas) - der Hinweis Kompression reicht sie können in Zukunft mehr Freizeit verbringen und müssen nicht 2x Woche über 1h zur Dauer MLD einplanen (incl. Fahrtzeit) wird mit Ablehnung reagiert und in Vorwurf: sie haben nur keinen Bock auf MLD bei mir zu machen umgewandelt. Strumpf Compliance ist je nach Schweregrad oft schlecht (bei milden Fällen vor allem).
Trotzdem die feste Überzeugung die MLD würde das voranschreiten verhindern/verzögern. Unglaublich schwer gegen solche Überzeugungen anzureden...
absolut empfohlen – muss jede/r bekommen („soll“)
....
• Liposuktion bei minderjährigen Lipödem PatientInnen
....
Originaltext:
Die folgenden Aspekte zur Indikation einer operativen Therapie mittels Liposuktion bei Lipödem an Beinen und / oder Armen sollen berücksichtigt werden:
...
• Strenge Indikationsstellung bei einem Alter unter 18 Jahren
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Sie haben natürlich vollkommen Recht.
Haben Sie vielen Dank für den Hinweis.
Wir haben den Beitrag diesbezüglich korrigiert.
Herzliche Grüße aus der Redaktion
Ihr Friedrich Merz
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Friedrich Merz schrieb:
Sehr geehrter Herr @Lutz Homann ,
Sie haben natürlich vollkommen Recht.
Haben Sie vielen Dank für den Hinweis.
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Herzliche Grüße aus der Redaktion
Ihr Friedrich Merz
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Lutz Homann schrieb:
Die folgende Passage aus dem News-Artikel ist nicht identisch zur entsprechenden in der Leitlinie selbst:
absolut empfohlen – muss jede/r bekommen („soll“)
....
• Liposuktion bei minderjährigen Lipödem PatientInnen
....
Originaltext:
Die folgenden Aspekte zur Indikation einer operativen Therapie mittels Liposuktion bei Lipödem an Beinen und / oder Armen sollen berücksichtigt werden:
...
• Strenge Indikationsstellung bei einem Alter unter 18 Jahren
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