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Das Coronavirus steht seit vergangenem Jahr im Verdacht, zu den auslösenden GBS-Erregern zu gehören. Zwei Studien scheinen das zu belegen, eine dritte, britische Studie widerspricht. Es bleibt aber die Notwendigkeit einer differentialdiagnostischen Abklärung, ob die Beatmung auf Grund des GBS oder wegen Covid-19 erfolgen muss.
Doch dass sich die Erkrankung überhaupt diagnostizieren lässt, das verdankt die Wissenschaft zwei Männern, die vor 100 Jahren gelebt haben und befreundet waren. Georges Charles Guillain und Jean-Alexandre Barré waren beide Militärärzte im ersten Weltkrieg. Hier liegt der Grundstein ihrer lebenslangen Freundschaft und ihrer Leidenschaft für ungewöhnliche Nervensymptome.
Beide stammen aus der französischen Provinz. Guillain, der 1878 geboren wurde, studierte in Rouen Medizin – dem Ort, an dem auch Flauberts „Madame Bovary“ spielt, welche unglücklich an der Seite des unambitionierten Arztes Bovary lebt. Das Gegenteil verkörpert aber im echten Leben Guillain. Er wechselt schnell nach Paris, der Hochburg der Neurologie. Als der erste Weltkrieg ausbricht, meldet er sich freiwillig und wird Leiter des Centre Neurologisque der 6. Armee bei Amiens.
Barré, der im bretonischen Nantes aufwuchs, studierte unter Joseph Babinsky, der wiederum dem Reflex-Test einen Namen gab. Guillain und Barré beobachten die traumatischen Folgen, an denen viele Soldaten in den Schützengräben des Stellungskrieges leiden. Hier begegnen ihnen zwei Menschen, die an Lähmungserscheinungen und Missempfindungen an Händen und Füßen erkranken. Im Gegensatz zu anderen Medizinern, beschränken sie sich nicht auf die Behandlung, sondern begeben sich auf Ursachenforschung. Sie führen mit neuen Untersuchungsmethoden Tests durch und werden bei einer Liquorentnahme fündig. Was der traumatisierte Soldat empfunden haben mag, ist nicht protokolliert.
Die Liquorentnahme und die elektrophysiologischen Testungen sind ein Durchbruch in der Medizin für die Diffenzialdiagnostik. So fanden die Mediziner heraus, dass der Zunahme des Eiweißgehaltes im Nervenwasser bei nahezu normaler Zellzahl eine hohe Bedeutung zukommt. Auch heute noch, über 100 Jahre später, diagnostizieren die Neurologen auf dieser Basis Nervenerkrankungen wie die Multiple Sklerose.
1916 erscheint die Publikation dieses neuen Lähmungsphänomens, entscheidend mitgetragen und untersucht durch André Strohl. Er führte die eklektrophysiologischen Tests an den Soldaten durch, wird aber in der Veröffentlichung nicht erwähnt und die zwei Freunde verschweigen ihn auch sonst gerne. 1926 veröffentlicht Guillain zehn weitere Fälle der Extremitäten-Lähmung. Ein Jahr später, auf einem Neurologenkongress, bekommt das Phänomen seinen Namen: Guillain-Barré-Syndrom.
Die drei medizinischen Wissenschaftler der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts machten Karriere. Guillain wird Dozent an der Pariser Salpetrière für die Nervenheilkunde. Barré erhält einen Lehrstuhl für Neurologie in Straßburg. Und der gemobbte Strohl wird 1924 Professor für medizinische Physiologie in Algier, zwei Jahre später in Paris.
Auch heute noch läuft die Ursachenforschung. Gesichert ist, dass häufig durch Infektionen oder auch Impfungen eine überschießende Autoimmunerkrankung folgt, bei der die Myelinschicht der peripheren Nerven geschädigt wird. Brandaktuell ist die Diagnostik im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Jetzt braucht es neue Pioniere, die den Ursachen beider Erkrankungen auf den Grund gehen.
Ul.Ma. / physio.de
Anm. der Redaktion:
Erst vor wenigen Tagen wurde beschlosssen, das Guillain-Barré-Syndrom (zusammen mit Verbrennungen u.a.) zum 1.7.2021 in die Liste der Erkrankungen mit langfristingem Heilmittelbedarf (LHMB) aufzunehmen.
EntdeckerPareseForschung
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