I. Allgemeiner Teil

Rahmenempfehlungen zur ambulanten medizinischen Rehabilitation vom 1. März 2016
 

Inhaltsverzeichnis 

Vorwort 

I. Allgemeiner Teil

Präambel

Vorbemerkung

Grundsätze

2.1 UN-Behindertenrechtskonvention  
2.2 Barrierefreiheit  
2.3 Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 
2.4 Rehabilitationsansatz
2.5 Abgrenzung zur kurativen Versorgung
2.6 Grundlage

3. Indikationsstellung / Medizinische Voraussetzungen 

3.1 Rehabilitationsbedürftigkeit
3.2 Rehabilitationsfähigkeit
3.3 Rehabilitationsprognose

4. Individuelle Voraussetzungen für die ambulante Rehabilitation 

5. Ausschlusskriterien 

6. Rehabilitationsziele

6.1 Allgemeines Rehabilitationsziel
6.2 Trägerspezifische Rehabilitationsziele

7. Zweckbestimmung der ambulanten Rehabilitation 

8. Angebotsstruktur der ambulanten Rehabilitation

9. Anforderungen an die ambulante Rehabilitationseinrichtung

9.1 Ganzheitlicher Ansatz
9.2 Rehabilitationskonzept
9.3 Diagnostik
9.4 Rehabilitationsplan
9.5 Ärztliche Leitung und Verantwortung
9.6 Rehabilitationsteam und Qualifikation

9.6.1 Arzt/Ärztin 
9.6.2 Physiotherapeut/Krankengymnast 
9.6.3 Masseur und Medizinischer Bademeister 
9.6.4 Ergotherapeut 
9.6.5 Logopäde/Sprachtherapeut 
9.6.6 Klinischer Psychologe
9.6.7 Sozialarbeiter/Sozialpädagoge 
9.6.8 Diätassistent/Ökotrophologe 
9.6.9 Gesundheits- und Krankenpfleger 
9.6.10 Sportlehrer/Sportwissenschaftler/Sporttherapeut 

10. Räumliche Ausstattung

11. Apparative Ausstattung 

12. Behandlungselemente

13. Leistungsbewilligung 

14. Verlängerungskriterien 

15. Teilhabe am Arbeitsleben 

16. Dokumentation 

17. Entlassungsbericht 

18. Kooperation

19. Datenschutz

20. Qualitätssicherung 

20.1 Strukturqualität
20.2 Prozessqualität 
20.3 Ergebnisqualität 

21. Beendigung der Rehabilitation


 

Vorwort 

Der Allgemeine Teil der Rahmenempfehlungen beinhaltet insbesondere Grundsätze, Voraussetzungen und Ziele der ambulanten medizinischen Rehabilitation und definiert z. B. die Kriterien für Rehabilitationsbedürftigkeit, Rehabilitationsfähigkeit und Rehabilitationsprognose. Des Weiteren enthält der Allgemeine Teil die Beschreibung der Angebotsstruktur sowie die allgemeinen personellen, räumlichen und apparativen Anforderungen an eine ambulante Rehabilitationseinrichtung.

Im Indikationsspezifischen Teil werden konkret die jeweiligen Anforderungen bei den einzelnen Rehabilitationsindikationen (Krankheiten und Krankheitsgruppen) festgelegt also z. B. medizinische Voraussetzungen, Behandlungsfrequenz und Rehabilitationsdauer, Besonderheiten, Ausschluss- und Verlängerungskriterien.

Aufgrund zwischenzeitlicher gesetzlicher und fachlicher Entwicklungen, wie zum Beispiel der ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention, des Bologna-Prozesses, stärkere Berücksichtigung der Barrierefreiheit sowie Weiterentwicklungen im Bereich der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) war eine grundlegende Überarbeitung des Allgemeinen Teils der Rahmenempfehlungen erforderlich geworden. Dem entsprechend wurden die bereits Ende der neunziger Jahre trägerübergreifenden Rahmenempfehlungen zur ambulanten medizinischen Rehabilitation als Beitrag zur Sicherstellung eines qualitativ hochwertigen Rehabilitationsangebotes von den Rehabilitationsträgern auf Ebene der BAR aktualisiert.

Am 1. April 2016 ist der aktualisierte Allgemeine Teil der Rahmenempfehlungen zur ambulanten medizinischen Rehabilitation in der Fassung vom 1. März 2016 in Kraft getreten. Dieser gilt nun auch in Verbindung mit den bisher vorliegenden indikationsspezifischen Rahmenempfehlungen. Die Rahmenempfehlungen gliedern sich immer in einen indikationsübergreifenden, Allgemeinen sowie einen Indikationsspezifischen Teil. Beide Teile sind weiterhin als Einheit zu verstehen.

Die BAR hat in ihrem Orientierungsrahmen 2016 – 2018 die Aktualisierung der indikationsspezifischen Rahmenempfehlungen als nächstes in den Bereichen muskuloskeletale Erkrankungen, Neurologie und Kardiologie vorgesehen.

Vorstand und Geschäftsführung danken allen Beteiligten, die an der Neufassung des Allgemeinen Teils der Rahmenempfehlungen zur ambulanten medizinischen Rehabilitation mitgewirkt haben.

Dr. Helga Seel 
Geschäftsführerin der BAR e.V.

I. Allgemeiner Teil

Präambel 

Der Wandel im Krankheitsspektrum, gekennzeichnet durch die Zunahme chronischer Krankheiten, die demografische Entwicklung mit einer steigenden Zahl älterer Menschen sowie die Verlängerung der Lebensarbeitszeit führen zu einem zunehmenden Bedarf an Rehabilitation, der den individuellen Lebensbedingungen und -gewohnheiten Rechnung trägt.
Die wohnortnahe ambulante medizinische Rehabilitation bietet neben der stationären Rehabilitation eine weitere Möglichkeit, die Behandlung den Erfordernissen des Einzelfalles anzupassen. Durch die individuell flexible Gestaltung einer Leistung zur Teilhabe kann deren Nachhaltigkeit verbessert werden.
Ebenso wie die stationäre Rehabilitation geht auch die ambulante medizinische Rehabilitation 1 von einem ganzheitlichen Ansatz aus, der die physischen, psychischen und sozialen Aspekte der Rehabilitation umfasst. Gleichermaßen gelten die Grundsätze der Komplexität, der Interdisziplinarität und der Individualität.

Als Grundlage für eine gemeinsam zu nutzende, bedarfsgerechte ambulante Rehabilitationsstruktur und zur Gewährleistung einer an einheitlichen Grundsätzen ausgerichteten und zielorientierten Leistungsgewährung geben daher

der Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen, Berlin 
der BKK Dachverband e. V., Berlin 
die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Berlin 
die Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin 
die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, Bochum 
die Gemeinsame Vertretung der Innungskrankenkassen e. V., Berlin 
die Kassenärztliche Bundesvereinigung, Berlin 
die Knappschaft, Bochum 
die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, Kassel und
der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek), Berlin 

nach Beratungen auf der Ebene der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation unter Mitwirkung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V., der Konferenz der Spitzenverbände der Reha-Leistungserbringer und des Deutschen Behindertenrates die folgenden Empfehlungen2

__________________________
1Der Begriff ambulante medizinische Rehabilitation umfasst auch teilstationäre Rehabilitation. Bei der Indikation der Entwöhnungsbehandlung ist hier nur der Bereich der ganztägig ambulanten Rehabilitation umfasst.
2 Besondere Regelungen der Unfallversicherung bleiben unberührt.

Anmerkung:Sofern aus Gründen besserer Lesbarkeit an einzelnen Stellen bei Personenangaben lediglich die männliche Schreibweise erscheint, sind weibliche Personen hier selbstverständlich gleichermaßen mit erfasst.


1. Vorbemerkung

Die Rahmenempfehlungen gliedern sich in den Allgemeinen Teil mit den Grundsätzen, Voraussetzungen und Zielen der ambulanten medizinischen Rehabilitation und den indikationsspezifischen Teil. Ergänzende Anforderungen können im indikationsspezifischen Teil formuliert werden.

2. Grundsätze

2.1 UN-Behindertenrechtskonvention

Das „Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung“ (UN-Behindertenrechtskonvention) ist das erste universelle Rechtsinstrument, das – bezogen auf die Lebenssituation behinderter Menschen – die universell geltenden Menschenrechte konkretisiert. Grundsätze der UN-Behindertenrechtskonvention sind die volle und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe verbunden mit der Achtung der Autonomie und der Würde behinderter Menschen. Behinderung wird darin als Bestandteil menschlichen Lebens angesehen und nicht allein als Beeinträchtigung eines Individuums betrachtet, die es zu „behandeln“ gilt. Es werden vielmehr auch die Wechselwirkungen zwischen Beeinträchtigungen beim einzelnen Menschen und den unterschiedlichen Barrieren, die ihrer Teilhabe am gesellschaftlichen Leben entgegenstehen, in den Blick genommen. Behinderung ist danach kein nur individuell zu lösendes Problem, sondern die Gesellschaft ist grundsätzlich so zu gestalten, dass möglichst alle umfassend an ihr teilhaben können.

Die UN-Behindertenrechtskonvention ist seit dem 26. März 2009 geltendes Recht in Deutschland. Sie richtet sich insbesondere an alle staatlichen Organe und alle Körperschaften des öffentlichen Rechts, aber auch an die Zivilgesellschaft insgesamt.

Der Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt das Recht behinderter Menschen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Im Rahmen von Gesundheitssorge ist durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten, dass behinderte Menschen Zugang zu Gesundheitsdiensten einschließlich gesundheitlicher Rehabilitation haben, die von Menschen mit Behinderung speziell wegen ihrer Behinderung benötigt werden und u. a. auch die unterschiedlichen Bedürfnisse von Frauen und Männern berücksichtigen.

Der Artikel 26 der UN-Behindertenrechtskonvention beschreibt die staatliche Pflicht, umfassende Habilitations- und Rehabilitationsdienste und Rehabilitationsprogramme zu organisieren, zu stärken und zu erweitern, insbesondere auf dem Gebiet der Gesundheit, der Beschäftigung, der Bildung und der Sozialdienste. Behinderte Menschen sollen so in die Lage versetzt werden, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit im Sinne von Selbstbestimmung, umfassende körperliche, geistige, soziale und berufliche Fähigkeiten zu erreichen und zu bewahren. Das Erreichen dieses Ziels soll auch durch die Unterstützung durch andere Menschen mit Behinderung (peer support) gefördert werden.

2.2 Barrierefreiheit

Mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland dazu verpflichtet, einen gleichberechtigten Zugang zu Umwelt, Transportmitteln, Information, Kommunikation, Bildung, Arbeit, Gesundheit und Rehabilitation für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Barrierefreiheit ist insbesondere für Menschen mit motorischen, sensorischen oder mit kognitiven Beeinträchtigungen von besonderer Bedeutung 3. Letztlich profitieren aber alle Menschen von einer barrierefreien Ausgestaltung der Angebote der medizinischen Rehabilitation, wenn sie diese eigenständig und grundsätzlich ohne besondere Erschwernisse wahrnehmen können.

__________________________
3 Siehe auch „Die 10 Gebote der Barrierefreiheit – Barrierefreiheit in 10 Kernpunkten“. BAR, 2012

Alle am Rehabilitationsprozess Beteiligten haben nicht nur die gesetzlichen Bestimmungen umzusetzen, sondern sollen Barrierefreiheit und Zugänglichkeit in einem umfassenden Sinn verstehen und proaktiv weiterentwickeln. Dies bedeutet vor allem, dass

  • alle Rehabilitationseinrichtungen in räumlicher und baulicher Hinsicht einschließlich der zum Einsatz kommenden Hilfsmittel und therapeutischen Geräte den Anforderungen einer barrierefreien Gestaltung entsprechen sollten. Die Maxime der ergonomischen Gestaltung, des Fuß-und-Roll-Prinzips 4, des Zwei-Sinne-Prinzips 5, der Verwendung visueller, akustischer und taktiler Kontraste sowie der Verwendung leichter Sprache sind dabei zu beachten;
  • den besonderen Anforderungen bei der Kommunikation im Rahmen der therapeutischen Maßnahmen aber auch bei der Gesamtorganisation Rechnung zu tragen ist. Dies gilt für den gesamten Rehabilitationsprozess, von der Aufnahme und der Festlegung der Therapieziele, über die Therapiemethoden und Verlaufsgespräche bis zur Entlassung. Die Kommunikation in leichter Sprache, der Einsatz von besonderen Kommunikationsformen (z. B. Gebärden) sowie die Bereitstellung schriftlicher und digitaler Informationen in barrierefreier Form sind weiterzuentwickeln;
  • die strukturellen Gegebenheiten und organisatorischen Abläufe soweit wie möglich den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung entsprechen sollten (z. B. wenn die Notwendigkeit zur Mitnahme menschlicher und tierischer Assistenz besteht);
  • der Abbau einstellungsbedingter Barrieren weiter fortgesetzt wird.

Bei allen Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit sind die technischen Regelwerke (z. B. DIN-Normen), die Erkenntnisse der Forschung und die Praxiserfahrungen zu beachten und anzuwenden. Menschen mit Behinderung sollten in den Prozess frühzeitig eingebunden werden.

__________________________
4 Das Fuß-und-Roll-Prinzip bedeutet, dass Bewegungsflächen sowohl zu Fuß als auch mit dem Rollstuhl und Rollator problemlos genutzt werden können. Gehwegflächen, Fußböden und Stufen müssen trittfest und rutschsicher sein, so dass sie auch von gehbehinderten Menschen ohne Stolper- und Sturzgefahr begehbar sind.
5 Nach dem Zwei-Sinne-Prinzip müssen Informationen, einschließlich Orientierungshilfen, jeweils für zwei der Sinne „Sehen“, „Hören“ und „Tasten“ gegeben werden. Seh- und hörgeschädigte Menschen erhalten so ohne fremde Hilfe Zugang zu allen wichtigen Informationen.

2.3 Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, kurz ICF genannt, gehört zur Familie der Klassifikationen im Gesundheitswesen. Sie ergänzt die bestehenden Klassifikationen um die Möglichkeit, Auswirkungen eines Gesundheitsproblems auf unterschiedlichen Ebenen zu beschreiben und gehört zu den sog. Referenz-Klassifikationen:

  • ICD - die Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme
  • ICF - die Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit
  • ICHI - die in Entwicklung befindliche Internationale Klassifikation der Gesundheitsinterventionen.
Die WHO hat 2001 die Verwendung der ICF empfohlen. Seit 2005 steht sie in deutscher Sprache in gedruckter Form und auf der Internetseite des DIMDI zur Verfügung. Meilensteine auf dem Weg zur ICF-Implementierung in Deutschland war 2001 das Inkrafttreten des SGB IX und mit ihm eine Anlehnung an die ICF sowie die Fokussierung auf den Teilhabebegriff (Partizipation).

Die von der WHO beschlossene Systematik dient einer standardisierten Beschreibung von Gesundheitszuständen und mit Gesundheit zusammenhängenden Aspekten einschließlich der Aktivitäten und Teilhabe. Dabei schafft sie u. a. eine Sprache, die die Kommunikationen zwischen verschiedenen Benutzern, wie Fachleuten im Gesundheitswesen, den Betroffenen selbst, aber auch Wissenschaftlern und Politikern erleichtern soll.

Die Nutzung der ICF setzt vor dem Hintergrund ihrer Systematik immer das Vorliegen eines Gesundheitsproblems voraus und deckt keine Umstände ab, die nicht mit der Gesundheit im Zusammenhang stehen, wie z. B. solche, die von sozioökonomischen Faktoren verursacht werden.

Gesundheitsproblem

Der englische Begriff „health condition“ ist mit dem etwas engeren Begriff „Gesundheitsproblem“ übersetzt. Als Gesundheitsproblem werden z. B. bezeichnet: Krankheiten, Gesundheitsstörungen, Verletzungen oder Vergiftungen und andere Umstände wie Schwangerschaft oder Rekonvaleszenz. Das Gesundheitsproblem wird für viele andere Zwecke typischer Weise als Krankheitsdiagnose oder -symptomatik mit der ICD erfasst bzw. klassifiziert. Ein Gesundheitsproblem führt zu einer Veränderung an Körperstrukturen und/oder Körperfunktionen und ist damit Voraussetzung zur Nutzung der ICF.

2.3.1 Struktur der ICF

Die ICF besteht aus zwei Teilen mit jeweils zwei Komponenten (Abbildung 1):

  • Teil 1 wird überschrieben mit dem Begriff Funktionsfähigkeit und Behinderung. Er enthält die Komponenten Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Partizipation (Teilhabe).
  • Teil 2 ist überschrieben mit dem Begriff Kontextfaktoren und untergliedert in die Komponenten Umwelt- und Personbezogene Faktoren.

Abbildung 1: Struktur der ICF

2.3.2 Die Komponenten der ICF

Die Komponenten der Funktionsfähigkeit und Behinderung in Teil 1 der ICF können in zweifacher Weise betrachtet werden.

Die Perspektive der Behinderung fokussiert auf Probleme im Gefolge eines Gesundheitsproblems (z. B. Schädigungen von Funktionen/Strukturen oder Beeinträchtigung der Aktivität/Teilhabe), während die Perspektive der Funktionsfähigkeit eher die positiven, nicht-problematischen Aspekte des mit dem Gesundheitsproblem in Zusammenhang stehenden Zustandes in den Mittelpunkt rückt (z. B. trotz einer Unterschenkel-Amputation noch laufen können wie ein Gesunder). Kontextfaktoren stellen den gesamten Lebenshintergrund einer Person dar. Sie sind mögliche Einflussfaktoren, die auf Krankheitsauswirkungen bzw. die Funktionsfähigkeit positiv wie negativ einwirken können, d. h. sie können für eine betroffene Person einen Förderfaktor oder eine Barriere darstellen.

Voraussetzung zur geeigneten Nutzung der ICF ist die Kenntnis ihrer Konzeption („Philosophie“) und ihrer Grundbegriffe. Die einzelnen Komponenten der ICF sind untergliedert in verschiedene Kapitel („Domänen“) mit jeweils mehreren Gliederungsebenen. Sie werden folgendermaßen beschrieben:

Körperfunktionen und Körperstrukturen

Als Körperfunktion werden die einzelnen, isoliert betrachteten physiologischen und psychologischen Funktionen von Körpersystemen bezeichnet, beispielsweise die Insulinausschüttung in der Bauchspeicheldrüse oder die Beweglichkeit im Hüftgelenk. Aber auch die mentalen Funktionen, wie z. B. Konzentrationsfähigkeit, gehören hierzu. Unter Körperstrukturen versteht man dieanatomischen Teile des Körpers wie Organe, beispielsweise die Bauchspeicheldrüse, Gliedmaßen oder einzelne Körperbestandteile wie Stammzellen.

Tabelle 1 listet die von der WHO vorgesehene Kapiteleinteilung in der Untergliederung der 1. Ebene auf.

KapitelKörperfunktionenKapitelKörperfunktionen
1Mentale Funktionen1Strukturen des Nervensystems
2Sinnesfunktion und Schmerz2Auge, Ohr und mit diesen im Zusammenhang stehende Strukturen
3Stimm- und Sprechfunktion3Strukturen, die an der Stimme und dem Sprechen beteiligt sind
4Funktionen des kardiovaskulären, hämatologischen, Immun- und Atmungssystems4Strukturen des kardiovaskulären, des Immunund des Atmungssystems
5Funktionen des Verdauungs-, Stoffwechsel- und endokrinen Systems5Mit dem Verdauungs-, Stoffwechsel- und endokrinen System im Zusammenhang stehende Strukturen
6Funktionen des Urogenital- und reproduktiven Systems6Mit dem Urogenital- und dem Reproduktionssystem im Zusammenhang stehende Strukturen
7Neuromuskuloskeletale und bewegungsbezogene Funktionen7Mit der Bewegung im Zusammenhang stehende Strukturen
8Funktionen der Haut und der Hautanhangsgebilde 8Strukturen der Haut und Hautanhangsgebilde
Itembeispiele: b1400 Daueraufmerksamkeit, s7503 Bänder und Faszien der Knöchelregion

Negative Abweichungen werden bei den Körperfunktionen und -strukturen als Schädigungen bezeichnet. Je nach Erkrankung und Stadium sind die Schädigungen unterschiedlich ausgeprägt.

Aktivitäten und Teilhabe (Partizipation)

Im Gegensatz zur isolierten Betrachtung einer Funktion stellt eine Aktivität die Durchführung einer Aufgabe oder einer Handlung durch einen Menschen in einer bestimmten Situation dar. Beeinträchtigungen der Aktivität sind Schwierigkeiten, die ein Mensch bei ihrer Durchführung haben kann, z. B. beim Lernen, Schreiben, Rechnen, Kommunizieren, Gehen, bei der Körperpflege.

Die Teilhabe (Partizipation) kennzeichnet das Einbezogensein in eine Lebenssituation, beispielsweise Familienleben, Arbeitswelt, Fußballverein. Beeinträchtigungen können Probleme beispielsweise beim Einkaufen, Kochen, Wäsche waschen, in Beziehungen, bei der Erziehung von Kindern, bei der Arbeit oder in der Freizeit sein.

Innerhalb dieser Komponente sind verschiedene Lebensbereiche definiert, die der Betrachtung der Durchführung von Aktivitäten bzw. des Einbezogenseins zu Grunde gelegt werden. Eine eindeutige Differenzierung zwischen „individueller“ und „gesellschaftlicher“ Perspektive der Domänen, also die Trennung zwischen Aktivitäten und Teilhabe [Partizipation], ist dabei oft nicht möglich. Aus diesem Grund sind sie in der ICF in gemeinsamen Kapiteln aufgeführt (Tabelle 2).

Tabelle 2: Klassifikation der Aktivitäten und Teilhabe

KapitelAktivitäten und Teilhabe (Kapitel der ICF)
1Lernen und Wissensanwendung
(z. B. bewusste sinnliche Wahrnehmungen, elementares Lernen, Wissensanwendung)
2Allgemeine Aufgaben und Anforderungen
(z. B. Aufgaben übernehmen, die tägl. Routine durchführen, mit Stress und anderen psychischen Anforderungen umgehen)
3Kommunikation
(z. B. Kommunizieren als Empfänger oder als Sender, Konversation und Gebrauch von Kommunikationsgeräten und -techniken)
4Mobilität
(z. B. die Körperposition ändern und aufrecht erhalten, Gegenstände tragen, bewegen und handhaben, gehen und sich fortbewegen, sich mit Transportmitteln fortbewegen)
5Selbstversorgung
(z. B. sich waschen, pflegen, an- und auskleiden, die Toilette benutzen, essen, trinken, auf seine Gesundheit achten)
6Häusliches Leben
(z. B. Beschaffung von Lebensnotwendigkeiten, Haushaltsaufgaben, Haushaltsgegenstände pflegen und anderen helfen)
7Interpersonelle Interaktionen und Beziehungen
(z. B. allgemeine interpersonelle Interaktionen, besondere interpersonelle Beziehungen)
8Bedeutende Lebensbereiche
(z. B. Erziehung/Bildung, Arbeit und Beschäftigung, wirtschaftliches Leben)
9Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben
(z. B. Gemeinschaftsleben, Erholung und Freizeit, Religion und Spiritualität)
Itembeispiel: d5101 den ganzen Körper waschen

Umweltfaktoren

Umweltfaktoren sind wie die personbezogenen Faktoren eine Komponente des Teils 2 der ICF (Kontextfaktoren).
Umweltfaktoren bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der Menschen leben und ihr Leben gestalten. Diese Faktoren liegen außerhalb der Person. Fördernde Umweltfaktoren können beispielsweise barrierefreie Zugänge, Verfügbarkeit von Hilfsmitteln, Medikamenten und Sozialleistungen sein. Schlechte Erreichbarkeit von Leistungserbringern, fehlende soziale und finanzielle Unterstützung können hingegen Barrieren darstellen (Tabelle 3).

Tabelle 3: Klassifikation der Umweltfaktoren (Kapitelzuordnungen)

KapitelUmweltfaktoren (Kapitel der ICF)
1Produkte und Technologien
(z. B. Lebensmittel, Medikamente, Hilfsmittel, Vermögenswerte)
2natürliche und vom Menschen veränderte Umwelt
(z. B. demografischer Wandel, Pflanzen, Tiere, Klima, Laute, Geräusche, Luftqualität)
3Unterstützung und Beziehung
(z. B. Familie, Freunde, Vorgesetzte, Hilfs- und Pflegepersonen, Fremde)
4Einstellungen
(z. B. individuelle Einstellungen der Familie, von Freunden, gesellschaftliche Einstellungen)
5Dienste, Systeme, Handlungsgrundsätze
(z. B. des Wohnungs-, Versorgungs-, Transport-, Gesundheitswesens, der Wirtschaft, Rechtspflege, Politik)
Itembeispiel: e1101 Medikamente

Personbezogene Faktoren

Personbezogene Faktoren sind von der WHO wegen der mit ihnen einhergehenden großen soziokulturellen Unterschiedlichkeit in der ICF bislang nicht systematisch klassifiziert. Beispielhaft werden aber einige wenige Items von der WHO aufgelistet: „Personbezogene Faktoren können Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Alter, andere Gesundheitsprobleme, Fitness, Lebensstil, Gewohnheiten, Erziehung, Bewältigungsstile, sozialer Hintergrund, Bildung und Ausbildung, Beruf sowie vergangene oder gegenwärtige Erfahrungen (vergangene oder gegenwärtige Ereignisse), allgemeine Verhaltensmuster und Charakter, individuelles psychisches Leistungsvermögen und andere Merkmale umfassen.“

Legt man diese zugrunde, könnte man sich unter den personbezogenen Faktoren Eigenschaften einer Person vorstellen, die einen Bogen spannen von

  • allgemeinen Merkmalen einer Person wie Alter, Geschlecht und genetischen Faktoren über
  • physische Faktoren, wie Körperbau und andere physische Faktoren, die insbesondere das körperliche Leistungsvermögen beeinflussen können (z. B. Muskelkraft, Herz- Kreislauffaktoren),
  • mentale Faktoren im Sinne von Faktoren der Persönlichkeit und kognitiven sowie mnestischen Faktoren,
  • Einstellungen, Grundkompetenzen und Verhaltensgewohnheiten dieser Person bis hin zur
  • Lebenslage und zu sozioökonomischen/kulturellen Faktoren.

Andere Gesundheitsfaktoren, wie sie die WHO vorschlägt, könnten den personbezogenen Faktoren zugeordnet werden, wenn sie geeignet sind, die aktuelle Funktionsfähigkeit zu beeinflussen, aber nicht Teil des Gesundheitsproblems sind.

Auch die personbezogenen Faktoren können die Funktionsfähigkeit einschließlich der Teilhabe beeinflussen und sind je nach Fragestellung im Einzelfall ggf. zu berücksichtigen. So kann beispielsweise eine optimistische Grundhaltung den Umgang mit einer Behinderung erleichtern, andererseits aber eine negative Einstellung zur Benutzung eines Rollators zur sozialen Isolation führen. In beiden Fällen handelt es sich nicht um „krankheitsbedingte“ Aspekte, sondern um wirkungsvolle Ausprägungen individueller Merkmale oder Eigenschaften, denen eine spezifische aktuelle Bedeutung zukommt, die man im positiven Fall (Förderfaktor) nutzen und im negativen Fall (Barriere) ggf. günstig von außen beeinflussen kann.

2.3.3 Weitere Untergliederung der einzelnen Komponenten

Wie aufgezeigt, sind die beiden Komponenten des Teil 1 der ICF („Körperfunktionen und Strukturen“ sowie „Aktivitäten und Teilhabe“) und die Komponente „Umweltfaktoren“ des Teils 2 der ICF jeweils weiter untergliedert. Dabei werden sinnvolle und praktikable Teilbereiche der Komponenten zu sog. „Domänen“ (Kapitel, Blöcke) zusammengefasst. Diese enthalten jeweils einzelne Kategorien (Items) auf verschiedenen Gliederungsebenen (bis zu vier). Die Kennzeichnung der Items erfolgt mittels eindeutiger alphanumerischer Zuordnung. Diese setzt sich aus einem Präfix für die jeweilige Komponente und einem numerischen Kode für das jeweilige Item zusammen. Die Länge des numerischen Kodes bestimmt sich nach der Gliederungsebene.

b2Sinnesfunktion und Schmerz(Item der ersten Ebene)
b210Funktion des Sehens (Sehsinn)(Item der zweiten Ebene)
b2102Qualität des Sehvermögens(Item der dritten Ebene)
b21022Kontrastempfindung(Item der vierten Ebene)

Auf der ersten Gliederungsebene (Kapitelebene) umfasst die ICF 30 Kapitel, auf der zweiten Ebene 362 Items und auf der dritten und vierten Ebene zurzeit 1424 Items. Es wäre allerdings – wie z. B. auch bei der ICD – ein großes Missverständnis, in jedem Einzelfall alle Items durchzuprüfen.

2.3.4 Möglichkeit der Kodierung des Schweregrads einer Schädigung oder Beeinträchtigung

Die einzelnen Items sind – wie beschrieben - jeweils eindeutig alphanumerisch gekennzeichnet (z. B. b410 Herzfunktionen). Zudem bestehen Ansätze für eine Systematik zur Beurteilung des Ausmaßes einer Beeinträchtigung im jeweils durch ein Item erfassten Bereich der Funktionsfähigkeit. Eine umfassende Operationalisierung von Schweregraden ist allerdings bislang nicht erfolgt. Trotzdem ist es grundsätzlich möglich, die einzelnen Items ohne Schweregradangabe z. B. zur systematischen Erfassung der Teilhabesituation des Patienten zu verwenden, indem die Items, bei denen rehabilitationsrelevante Auffälligkeiten bestehen, bei der Falldarstellung benannt/verwendet werden. Ein solches Vorgehen kann es erleichtern, die eigene Einschätzung gegenüber anderen Mitgliedern des Reha-Teams zu kommunizieren. Dieser Vorteil kann durch eine Verständigung (z. B. innerhalb eines Reha-Teams) auf Schweregrade von Schädigungen bzw. Beeinträchtigungen noch verstärkt werden.

2.3.5 Die Konzeption der ICF, das bio-psycho-soziale Modell

Sowohl die Funktionsfähigkeit als auch die Behinderung eines Menschen ist gekennzeichnet als das Ergebnis oder die Folge einer komplexen Beziehung zwischen dem Menschen mit einem Gesundheitsproblem und seinen Umwelt- und personbezogenen Faktoren(Kontextfaktoren). Das bio-psycho-soziale Modell der möglichen multiplen Wechselwirkungen (Abbildung 2) verdeutlicht, dass Behinderung im Sinne einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit kein statisches Merkmal, sondern ein dynamischer Prozess ist (Modell der Funktionsfähigkeit und Behinderung). Die Komplexität der Wechselwirkungen lässt vielfältige Interventionsansätze erkennen, beispielsweise

  • bei der Behandlung der Körperstruktur- und Funktionsschädigung selbst oder der Förderung verbliebener Fertigkeiten,
  • der Verbesserung oder Kompensation beeinträchtigter Aktivitäten sowie
  • der Verbesserung oder des Ausgleichs einer beeinträchtigten Teilhabe (Partizipation).

Abbildung 2: Wechselwirkungen zwischen den Komponenten der ICF (WHO 2001)

  • Funktionsfähigkeit kann so verstanden werden, dass eine Person trotz einer Erkrankung
  • all das tut oder tun kann, was von einem gesunden Menschen erwartet wird und/oder
  • sie sich in der Weise und dem Umfang entfalten kann, wie es von einem gesunden Menschen erwartet wird.

Resultiert aus dem Gesundheitsproblem einer Person eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit, liegt nach dieser Konzeption eine Behinderung vor.

Der Behinderungsbegriff im SGB IX (§ 2) ist hingegen enger gefasst. Danach sind Menschen nur dann behindert, wenn

  • ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit von dem abweichen, was für das Lebensalter als typischer Zustand bezeichnet werden kann und
  • dieser Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate anhält und
  • daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Die ICF stellt Bausteine für Nutzer zur Verfügung, die Modelle für die Gestaltung des Rehabilitationsprozesses entwickeln und verschiedene Aspekte untersuchen möchten. Die mit Hilfe der ICF formulierten Aussagen hängen von den Nutzern, ihrer Kreativität und ggf. ihrer wissenschaftlichen Orientierung ab.

2.4 Rehabilitationsansatz

Medizinische Rehabilitation verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz. Dieser geht über das Erkennen, Behandeln und Heilen einer Krankheit hinaus und erfordert auch die umfassende Berücksichtigung der Kontextfaktoren in Bezug auf Person und Umwelt als Voraussetzung für einen bestmöglichen Rehabilitationserfolg.

Unter Berücksichtigung des Einzelfalls kommen dabei komplexe Maßnahmen im medizinischen, pädagogischen, beruflichen und sozialen Bereich zur Anwendung. Insbesondere ist auf das Zusammenwirken bei der Versorgung durch die verschiedenen an der Rehabilitation beteiligten Berufsgruppen und die Verzahnung der verschiedenen Leistungskomponenten zu achten. Dies beinhaltet z. B. Hilfen zur Bewältigung der krankheits- und behinderungsbedingten Auswirkungen und zur Verhaltensänderung mit dem Ziel des Abbaus von negativ wirkenden Kontextfaktoren.

2.5 Abgrenzung zur kurativen Versorgung

Auch wenn es eine strikte Trennung der Ziele der verschiedenen Versorgungsbereiche nicht geben kann und soll, so unterscheiden sich die Schwerpunkte zum Teil erheblich. So ist beispielsweise die kurative Versorgung i.S. des SGB V primär auf das klinische Bild als Manifestation einer Krankheit / Schädigung zentriert. Kurative Versorgung ist a priori kausal orientiert und fokussiert somit auf
− Heilung bzw. Remission (kausale Therapie) oder bei Krankheiten mit Chronifizierungstendenz auf Vermeidung einer Verschlimmerung sowie Linderung der Krankheitsbeschwerden und
− die Vermeidung weiterer Krankheitsfolgen.

Das konzeptionelle Bezugssystem der kurativen Versorgung ist vorrangig das biomedizinische Krankheitsmodell, welches der ICD als entsprechende Klassifikation zugeordnet ist.
Demgegenüber liegt der medizinischen Rehabilitation das bio-psycho-soziale Modell der WHO zugrunde, das Gesundheit und Krankheit als Ergebnis des Ineinandergreifens physiologischer, psychischer und sozialer Vorgänge beschreibt. Auf diese Weise werden auch Einflussfaktoren auf die Funktionsfähigkeit oder Behinderung aus dem Lebenshintergrund der betroffenen Person berücksichtigt und in den Prozess der medizinischen Rehabilitation einbezogen.

2.6 Grundlage

Die medizinische Rehabilitation umfasst insbesondere
− die Rehabilitationsdiagnostik, die die Körperfunktionen und Körperstrukturen, Aktivitäten und Teilhabe sowie die Kontextfaktoren mit ihrem fördernden oder hemmenden Einfluss beschreibt und bewertet
− die gemeinsame Abstimmung der Rehabilitationsziele mit dem Rehabilitanden
− den Rehabilitationsplan mit Beschreibung der Rehabilitationsziele
− die Steuerung und Durchführung der Rehabilitation unter Einbezug des gesamten Rehabilitationsteams, insbesondere unter Berücksichtigung der Rehabilitationsziele
− die Dokumentation des Rehabilitationsverlaufs und der -ergebnisse.

3. Indikationsstellung / Medizinische Voraussetzungen

Zur Klärung der Notwendigkeit und der Zielsetzung einer Leistung der medizinischen Rehabilitation sind folgende Voraussetzungen sozialmedizinisch zu prüfen
− die Rehabilitationsbedürftigkeit
− die Rehabilitationsfähigkeit
− die Rehabilitationsprognose.
Diese Voraussetzungen sind wie folgt definiert:

3.1 Rehabilitationsbedürftigkeit

Rehabilitationsbedürftigkeit liegt vor, wenn krankheits- oder behinderungsbedingt eine Beeinträchtigung der Teilhabe droht oder bereits besteht, sodass über die kurative Versorgung hinaus, der mehrdimensionale und interdisziplinäre Ansatz von Leistungen zur Teilhabe erforderlich ist, um diese Beeinträchtigung zu vermeiden, zu beseitigen, zu verbessern, auszugleichen, oder eine Verschlimmerung zu verhüten. Die Auswirkungen des Gesundheitsproblems werden dabei auf den Ebenen der Körperfunktionen und Körperstrukturen, der Aktivitäten und der Teilhabe unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren betrachtet.

3.2 Rehabilitationsfähigkeit

Der Begriff der Rehabilitationsfähigkeit bezieht sich auf die somatische und psychische Belastbarkeit des Rehabilitanden für die Teilnahme an einer geeigneten Leistung zur Teilhabe.

3.3 Rehabilitationsprognose

Die Rehabilitationsprognose ist eine medizinisch begründete Wahrscheinlichkeitsaussage für das Erreichen der Rehabilitationsziele
− auf der Basis der Erkrankung, des bisherigen Verlaufs (einschließlich nicht ausreichender Möglichkeiten der ambulanten und ggf. stationären Therapie), des Kompensationspotentials/der Rückbildungsfähigkeit unter Beachtung und Förderung individueller Ressourcen (Rehabilitationspotential einschließlich psychosozialer Faktoren)
− vor dem Hintergrund der individuell relevanten Umwelt und personbezogenen Faktoren (z. B. Hilfsmitteleinsatz, Unterstützung durch Familienangehörige, Handlungsbereitschaft, Selbstbestimmung, Motivierbarkeit)
− durch eine geeignete Leistung zur Teilhabe
− und in einem notwendigen Zeitraum.

4. Individuelle Voraussetzungen für die ambulante Rehabilitation

Neben den medizinischen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen muss der Rehabilitand für eine ambulante Rehabilitation
− über die zur Inanspruchnahme der Rehabilitation erforderliche Mobilität verfügen und
− die Rehabilitationseinrichtung in einer zumutbaren Fahrzeit erreichen können.
Die häusliche Versorgung des Rehabilitanden muss sichergestellt sein.

5. Ausschlusskriterien

Bei der ambulanten Rehabilitation im Sinne eines komplexen Therapieprogramms sind eine Reihe allgemeiner Ausschlusskriterien zu berücksichtigen.

Gegen eine ambulante Rehabilitation sprechen folgende Kriterien
− eine kurative Versorgung im Sinne von Ziffer 2.5 reicht aus
− eine stationäre Behandlung in einer Rehabilitationsklinik ist erforderlich wegen

  • der Art oder des Ausmaßes der Schädigungen oder Beeinträchtigungen der Aktivitäten, die durch ambulante Rehabilitation nicht ausreichend behandelt werden können
  • stark ausgeprägter Multimorbidität, die durch ambulante Rehabilitation nicht ausreichend behandelt werden kann
  • der Notwendigkeit einer pflegerischen Unterstützung, sofern diese einer ambulanten Rehabilitation entgegensteht
  • der Notwendigkeit ständiger ärztlicher Überwachung
  • Erforderlichkeit einer zeitweisen Entlastung und Distanzierung vom sozialen Umfeld.

Darüber hinaus sind ggf. indikationsspezifische Ausschlusskriterien (s. Indikationsspezifischer Teil) zu beachten.

6. Rehabilitationsziele

6.1 Allgemeines Rehabilitationsziel

Ziel der medizinischen Rehabilitation ist, die Gesundheit wiederherzustellen oder wesentlich zu verbessern und die drohenden oder bereits manifesten Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am Arbeitsleben, durch frühzeitige Einleitung der gebotenen Leistungen zur Teilhabe abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Der Rehabilitand soll durch die Rehabilitation (wieder) befähigt werden, die Aktivitäten des täglichen Lebens, insbesondere die Erwerbstätigkeit, möglichst in der Art und in dem Ausmaß auszuüben, wie sie für ihn als „normal“ (für seinen Lebenskontext typisch) erachtet werden.

Dieses Ziel kann erreicht werden durch
− vollständige bzw. größtmögliche Wiederherstellung der ursprünglichen Struktur und Funktion bzw. Aktivitäten und der Teilhabe
− Einsatz von „Ersatzstrategien“ bzw. Nutzung verbliebener Funktionen bzw. Aktivitäten (Kompensation)
− Anpassung der Umwelt an die Beeinträchtigung der Aktivitäten bzw. der Teilhabe des Rehabilitanden (Adaptation)
- Erlernen von Strategien zur Krankheitsbewältigung (Coping).

Die individuellen alltagsrelevanten Rehabilitationsziele werden mit dem Rehabilitanden insbesondere auf der Grundlage:
− der Erkrankung(en),
− des bisherigen Verlaufs,
− der Belastbarkeit für die einzelnen Therapieelemente
− des Kompensationspotentials,
− individueller Ressourcen und
− unter Berücksichtigung relevanter umwelt- und personbezogenen Faktoren
vereinbart.

6.2 Trägerspezifische Rehabilitationsziele

Leistungen zur Teilhabe zielen trägerunabhängig darauf ab, die Gesundheit wiederherzustellen oder wesentlich zu verbessern und die drohenden oder bereits manifesten Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, durch frühzeitige Einleitung der gebotenen Leistungen zur Teilhabe abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Der Mensch mit Behinderung soll durch die Leistungen zur Teilhabe (wieder) befähigt werden, die Aktivitäten im täglichen Leben, insbesondere die Erwerbstätigkeit, möglichst in der Art und in dem Umfang auszuüben, wie sie sich für ihn als „normal“ (für seinen Lebenskontext typisch) darstellen.

Leistungen zur Teilhabe orientieren sich, neben der generellen Befähigung des Menschen mit Behinderung zum adäquaten, aktiven und selbstbestimmten Umgang mit den Auswirkungen einer Krankheit oder einer Behinderung, trägerspezifisch, gemäß des jeweiligen gesetzlichen Auftrages:
- in der Krankenversicherung darauf, bleibende alltagsrelevante Einschränkungen der Funktionsfähigkeit sowie eine Verschlimmerung oder Chronifizierung der Erkrankung zu vermeiden, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern.
- in der Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung derLandwirte darauf, den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern,
- in der Unfallversicherung darauf, durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursachte Gesundheitsschäden und Leistungseinschränkungen zu beseitigen, zu bessern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern und Versicherte dadurch möglichst auf Dauer beruflich und sozial einzugliedern,

7. Zweckbestimmung der ambulanten Rehabilitation

Rehabilitation kann ambulant 6 oder stationär erbracht werden. Der ganzheitliche Ansatz der ambulanten Rehabilitation weist bezüglich der Intensität und Komplexität der Leistungen sowie der ggf. zu berücksichtigenden Aspekte der Teilhabe am Arbeitsleben qualitativ generell keinen Unterschied zur stationären Rehabilitation auf. Die ambulante Rehabilitation eröffnet durch ihre Wohnortnähe einerseits das Verbleiben in der Häuslichkeit und andererseits die Möglichkeit, Angehörige oder Bezugspersonen stärker in die Rehabilitation einzubeziehen. Zudem kann ein Transfer der Rehabilitationsergebnisse schon frühzeitig in den Alltag vollzogen werden. Hierfür sind bedarfsweise auch Therapieeinheiten vor Ort (Wohnung, Arbeitsplatz) durchzuführen.

__________________________
6Die gesetzliche Krankenversicherung kann mobile Rehabilitation als besondere Form der ambulanten Rehabilitation aufsuchend in der häuslichen Umgebung oder der Alten-/Pflegeeinrichtung anstelle einerRehabilitationseinrichtung erbringen. Hierzu gelten spezielle Vorgaben der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die ambulante medizinische Rehabilitation kann im Sinne der Flexibilisierung entsprechend dem individuellen Bedarf auch in Kombination mit der stationären Form erbracht werden.

Zur Zielerreichung der trägerspezifischen Rehabilitationsziele kann die ambulante Form der medizinischen Rehabilitation insbesondere beitragen durch die
− Förderung der (Re)Integration in das Wohnumfeld
− stärkere Aktivierung des Selbsthilfepotentials des Rehabilitanden durch Einbeziehung der Lebenswirklichkeit (Familie, Alltagsbelastungen, Arbeitswelt) in die rehabilitativen Maßnahmen
− verbesserte Vernetzung mit der Nachsorge (z. B. Rehabilitationssport, Funktionstraining, Kontaktanbahnung zu Selbsthilfegruppen, Kooperation mit niedergelassenen Ärzten)
− Verkürzung von Arbeitsunfähigkeit, insbesondere durch stufenweise Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess während oder im Anschluss an die ambulante medizinische Rehabilitation
− erleichterte Kontaktaufnahme zum Betrieb zwecks frühzeitiger Einleitung innerbetrieblicher Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Wiedereingliederung (z. B. ergonomische Arbeitsplatzgestaltung)
− Nutzung eingliederungsfördernder Ressourcen eines vorhandenen komplementären sozialen Netzwerkes von Hilfen (z. B. Sozialstationen, Integrationsfachdienste).

8. Angebotsstruktur der ambulanten Rehabilitation

Das etablierte Angebot ambulanter Rehabilitation steht für eine auf den individuellen Rehabilitationsbedarf ausgerichtete flexible Versorgungsstruktur. Ziel des weiteren Ausbaus ist die Optimierung des Angebotes für die Rehabilitanden. Eine ambulante ohnortnahe Rehabilitation mit einem bedarfsgerechten, differenzierten Leistungsangebot, das qualitativ mit dem stationärer Rehabilitationseinrichtungen vergleichbar ist, vervollständigt die Versorgungsstruktur in sinnvoller Weise. Konzeptionelle Anforderungen an die Rehabilitationsdiagnostik, den Rehabilitationsplan, die Rehabilitationsdurchführung sowie die Erfolgskontrolle und die Dokumentation müssen analog zum stationären Sektor entsprechend der Aufgabenstellung umgesetzt werden.

Neben den konzeptionellen, qualitativen Anforderungen an Einrichtungen sind vom Leistungserbringer auch wirtschaftliche Überlegungen hinsichtlich des Rehabilitandenaufkommens anzustellen. Damit bestehen Grenzen eines flächendeckenden Ausbaus ambulanter Rehabilitationsangebote.

Positive Anreize für den Ausbau ergeben sich daraus, dass wohnortnahe Rehabilitationseinrichtungen auch geeignet sein können, Leistungen zur Prävention und Nachsorge zu erbringen.

9. Anforderungen an die ambulante Rehabilitationseinrichtung

Die ambulante Rehabilitation wird von qualifizierten Einrichtungen nach indikationsspezifischen Konzepten erbracht, die auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse die Inhalte und Ziele der Rehabilitation nach den Prinzipien Komplexität, Interdisziplinarität und Individualität definieren.

9.1 Ganzheitlicher Ansatz

Neben den indikationsbezogenen Therapieansätzen ist im Konzept der Einrichtung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und insbesondere die Teilhabe am Arbeitsleben, Probleme der Multimorbidität, der Krankheitsverarbeitung sowie auf die positiv und negativ wirkenden Kontextfaktoren einzugehen. Die ambulante Rehabilitation soll daher auch Beratung, Anleitung und Unterstützung zu einem gesundheitsförderlichen Verhalten beinhalten, z. B. bei Übergewicht, Bewegungsmangel, Suchtverhalten sowie bei gesundheitsgefährdendem körperlichem und seelischem Stress. Dabei soll ein möglichst hohes Maß an Selbstbefähigung zur Verhaltensänderung angestoßen und vermittelt werden. Die sozialmedizinische Kompetenz muss über die ärztliche Leitung sichergestellt sein.

9.2 Rehabilitationskonzept

Ambulante Rehabilitationseinrichtungen müssen über ein strukturiertes, regelmäßig zu überprüfendes, ICF-basiertes Rehabilitationskonzept verfügen, das den spezifischen Anforderungen der zu behandelnden Rehabilitandengruppen (Indikationen) wie auch den Anforderungen des jeweiligen Rehabilitationsträgers entspricht.

9.3 Diagnostik

Vor Beginn der ambulanten Rehabilitation soll die erforderliche medizinische Diagnostik (einschließlich Differentialdiagnostik) bereits durchgeführt sein, um die Einbuße von Therapiezeiten und erhöhte Kosten zu vermeiden.

Neben einer Basisdiagnostik, zu der u. a. eine umfassende Sozialanamnese und ggf. eine Arbeitsanamnese gehören, wird in allen ambulanten Rehabilitationseinrichtungen auch eine indikationsspezifische Rehabilitationsdiagnostik erwartet. Aufwändige und seltene Diagnostik kann auch in Kooperation durchgeführt werden.

9.4 Rehabilitationsplan

Auf Grundlage der gemeinsam abgestimmten Rehabilitationsziele ist für jeden Rehabilitanden ein detaillierter individueller Rehabilitationsplan zu erstellen. Dieser schließt die Zielsetzungen der verschiedenen Therapiebereiche mit ein und orientiert sich an einer langfristigen Strategie zur Bewältigung der krankheits- und behinderungsbedingten Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit. Der Rehabilitationsplan kann den regionalen Gegebenheiten bezüglich der Therapieangebote Rechnung tragen. Er ist vom Arzt unter Mitwirkung der anderen Mitglieder des Rehabilitationsteams zu erstellen und im Laufe der Behandlung der aktuellen Situation anzupassen. Der Rehabilitand und ggf. seine Angehörigen/Bezugsperson sind bei der Erstellung des Rehabilitationsplans bzw.der Anpassung zu beteiligen.

Zur Erstellung eines Rehabilitationsplans gehört auch die Berücksichtigung der im Rehabilitationsverlauf ggf. erkannten Probleme und entsprechender Lösungsmöglichkeiten durch weiterführende Maßnahmen, unter anderem:

  • die Beratung bei einer notwendigen Wohnungsanpassung, bei der Auswahl von Hilfsmitteln und bei der Gestaltung der häuslichen Versorgung
  • ggf. die erforderliche Anregung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
  • Kontakt zur relevanten Selbsthilfegruppe herzustellen.

9.5 Ärztliche Leitung und Verantwortung

Ambulante Rehabilitation muss unter Leitung und Verantwortung eines Arztes mit Gebietsbezeichnung bzw. Teilgebietsbezeichnung 7 der Hauptindikation der Rehabilitationseinrichtung / Fachabteilung stehen, der über mindestens zweijährige vollzeitige (bei Teilzeit entsprechend längere) rehabilitative und sozialmedizinische Erfahrungen verfügt.

__________________________
7 Zum Beispiel: Facharzt für Innere Medizin mit Teilgebietsbezeichnung Kardiologie.

Ergänzend zu den oben genannten fachlichen Qualifikationen verfügt der leitende Arzt außerdem über folgende Voraussetzungen

  • Zusatz-Weiterbildung Rehabilitationswesen oder
  • Zusatz-Weiterbildung Sozialmedizin oder
  • Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin.

Sind im Ausnahmefall diese formalen Voraussetzungen nicht erfüllt, beurteilen die Leistungsträger die für die Einrichtung notwendigen fachgebietsspezifischen und rehabilitativen Kompetenzen anhand der nachgewiesenen Weiterbildungszeiten und -inhalte.

Eine Weiterbildungsermächtigung hinsichtlich der Zusatzbezeichnungen ist anzustreben.

Im Einzelfall können die Leistungsträger ein entsprechend qualifiziertes Leitungsteam als ärztliche Leitung im Sinne der vorstehenden Ausführungen anerkennen.

Der leitende Arzt oder sein benannter ständiger Vertreter müssen während der Rehabilitationszeiten der Einrichtung präsent und verfügbar sein.

Der leitende Arzt hat die Aufgabe, erforderliche rehabilitationsdiagnostische Maßnahmen durchzuführen bzw. zu veranlassen, die individuell geeigneten Leistungen zur Teilhabe abzustimmen, ihre Qualität zu sichern und den Rehabilitanden rehabilitationsspezifisch zu behandeln und zu beraten. Die Sicherstellung der rehabilitativen Kompetenz im Rehabilitationsteam gehört zur fachlichen Verantwortung des leitenden Arztes.

Weitere Aufgaben des leitenden Arztes sind insbesondere:
- Leitung des Rehabilitationsteams
− Koordination und Abstimmung der Rehabilitationsplanung
− Durchführung von regelmäßigen (mind. einmal pro Woche) rehabilitandenbezogenen Teambesprechungen
− Durchführung von Zwischenuntersuchungen und Anpassung des Rehabilitationsplans
− Abschlussuntersuchung
− Entlassungsmanagement
− Erstellung des ICF-orientierten Entlassungsberichts mit sozialmedizinischer Beurteilung und Hinweisen für weiterführende Maßnahmen, z. B. im Rahmen der Nachsorge
− Weiterentwicklung des ICF-basierten Rehabilitationskonzepts unter Einbeziehung des Rehabilitationsteams
− Kooperation mit vor- und nachbehandelnden Ärzten, Konsiliarärzten und Konsiliardiensten.

9.6 Rehabilitationsteam und Qualifikation

Das Rehabilitationsteam setzt sich entsprechend den indikationsspezifischen Anforderungen aus Ärzten und nicht-ärztlichen Fachkräften, wie z. B. Physiotherapeuten/Krankengymnasten, Masseuren und Medizinischen Bademeistern, Ergotherapeuten, Logopäden/Sprachtherapeuten, Klinischen Psychologen, Sozialarbeitern/Sozialpädagogen, Sportlehrern/Sporttherapeuten, Diätassistenten und Gesundheits- und Krankenpflegern zusammen.

Generell wird eine ausreichende rehabilitative Kompetenz bei den Mitgliedern des Rehabilitationsteams vorausgesetzt. Bei einer zweijährigen Berufserfahrung in einer Rehabilitationseinrichtung wird diese Kompetenz als gegeben angenommen. Andernfalls legt der leitende Arzt dar, inwiefern trotzdem die ausreichende rehabilitative Kompetenz gegeben ist bzw. wie der Mitarbeiter beim Erwerb dieser Kompetenz begleitet wird.

Sind mehrere Mitglieder einer Berufsgruppe in der Rehabilitationseinrichtung / Fachabteilung tätig, verfügt zumindest die Leitung dieser Berufsgruppe über mindestens zweijährige vollzeitige (bei Teilzeit entsprechend längere) Berufserfahrung in einer Rehabilitationseinrichtung.

An die einzelnen Berufsgruppen im Rehabilitationsteam sind die folgenden und ggf. die in den indikationsspezifischen Konzepten (s. Indikationsspezifischer Teil) genannten zusätzlichen Anforderungen an Qualifikation und Berufserfahrung zu stellen.

9.6.1 Arzt/Ärztin8

Hinsichtlich des leitenden Arztes wird auf Ziffer 9.5 verwiesen. Der Vertreter des leitenden Arztes muss über eine vergleichbare Qualifikation verfügen wie der leitende Arzt der Rehabilitationseinrichtung / Fachabteilung.

Die weiteren Ärzte müssen über die in den indikationsspezifischen Konzeptionen festgelegte Qualifikation bzw. klinische Erfahrung verfügen.

__________________________
8 Im Folgenden wird auf die weibliche Form der Berufsbezeichnung verzichtet.

9.6.2 Physiotherapeut/Krankengymnast

− Physiotherapeut / Krankengymnast oder Bachelor of Science (B.Sc.) oder Bachelor of Arts (B.A.) oder Master of Science (M.Sc.)
− jeweils mit staatlicher Anerkennung
− ggf. mit indikationsspezifischer Zusatzqualifikation oder Weiterbildung.

mind. 2 Jahre vollzeitige Berufserfahrung als Physiotherapeut/Krankengymnast in einer Rehabilitationseinrichtung.

9.6.3 Masseur und Medizinischer Bademeister

Staatliche Anerkennung als Masseur und Medizinischer Bademeister ggf. mit indikationsspezifischer Zusatzqualifikation oder Weiterbildung und

Grundlagenkenntnisse in Bewegungslehre und medizinischer Aufbautherapie und

9.6.4 Ergotherapeut

− Ergotherapeut oder Bachelor of Science (B.Sc.) oder Master of Science (M.Sc.)
− jeweils mit staatlicher Anerkennung
− ggf. mit indikationsspezifischer Zusatzqualifikation oder Weiterbildung.
- ggf. Grundlagenkenntnisse in medizinisch-beruflichen Rehabilitationsansätzen, Ergonomie, Arbeitsplatzanpassung.

9.6.5 Logopäde/Sprachtherapeut

− Logopäde / Sprachtherapeut oder Bachelor of Arts (B.A.) oder Bachelor of Science (B.Sc.)
− jeweils mit staatlicher Anerkennung
− ggf. mit indikationsspezifischer Zusatzqualifikation oder Weiterbildung.

9.6.6 Klinischer Psychologe

-Diplom-Psychologe oder Master of Science (M.Sc.) und
- ggf. Anerkennung als klinischer Neuropsychologe durch die Fachgesellschaften und
- ggf. psychotherapeutische Zusatzqualifikation und
- Zusatzqualifikation in Entspannungstechniken (z.B. Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung nach Jacobson) und
- Erfahrung in der Leitung von Gruppen

9.6.7 Sozialarbeiter/Sozialpädagoge

- Diplom-Sozialarbeiter bzw. Sozialpädagoge oder Master of Science (M.Sc.) oder Master of Arts (M.A.), Bachelor of Arts (B.A.), Bachelor of Science (B.Sc.) oder Bachelor of Education (B.Ed.)
− jeweils mit staatlicher Anerkennung
− Erfahrung in der Einzelfallhilfe und
− Aus-, Fort- und Weiterbildung im Gesundheitswesen.

9.6.8 Diätassistent / Ökotrophologe

− Diätassistent (ggf. mit indikationsspezifischer Zusatzqualifikation oder Weiterbildung) oder Diplom-Ökotrophologe oder Bachelor of Science (B.Sc.) oder Master of Science (M.Sc.)
− jeweils mit staatlicher Anerkennung.

9.6.9 Gesundheits- und Krankenpfleger

− Staatliche Anerkennung als Gesundheits- und Krankenpfleger ggf. mit indikationsspezifischer Zusatzqualifikation oder Weiterbildung und
− jeweils mit staatlicher Anerkennung.

9.6.10 Sportlehrer / Sportwissenschaftler / Sporttherapeut

− Diplom-Sportlehrer oder Diplom-Sportwissenschaftler oder Bachelor of Science (B.Sc.) oder Master of Science (M.Sc.) mit indikationsspezifischer bewegungstherapeutischer Ausrichtung (z. B. Fachrichtung Rehabilitation)
− jeweils mit staatlicher Anerkennung.

10. Räumliche Ausstattung

Die räumliche Ausstattung der ambulanten Rehabilitationseinrichtung muss so bemessen und beschaffen sein, dass das jeweilige indikationsspezifische Rehabilitationskonzept umgesetzt werden kann.

11. Apparative Ausstattung

Die apparative Ausstattung muss die Durchführung der speziellen indikationsbezogenen Funktionsdiagnostik und Therapie gewährleisten. In einem Funktionsverbund können externe Apparate für die ambulante Rehabilitation mitgenutzt werden. Nähere Ausführungen enthalten ggf. die indikationsspezifischen Konzepte (s. Indikationsspezifischer Teil).

12. Behandlungselemente

Zu den Behandlungselementen der ambulanten Rehabilitation zählen insbesondere
− ärztliche Behandlung und Betreuung, Planung und Überwachung des Rehabilitationsprogramms
− Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln
− Physiotherapie/Krankengymnastik einschließlich Physikalischer Therapie, Bewegungstherapie und Sporttherapie
− Ergotherapie
− Sprachtherapie
− psychologische Beratung
− indikationsspezifische Psychotherapie (insbesondere Psychosomatik)
− psychosoziale Beratung (auch bei Fragen zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) und Betreuung
− Patientenschulungsprogramme zur Information und Motivation zu einem gesundheitsbewussteren Verhalten (Gesundheitsbildung, -training)
− Krankenpflege
− Maßnahmen in Bezug auf die Teilhabe am Arbeitsleben (z. B. Belastungserprobung, Arbeitstherapie)
− Ernährungsberatung.
Die einzusetzenden Behandlungselemente variieren entsprechend der jeweiligen Indikation und werden als Einzeltherapie oder in einer Gruppe angeboten.

13. Leistungsbewilligung

Ambulante Rehabilitationsmaßnahmen bedürfen vor Beginn der Bewilligung durch den zuständigen Rehabilitationsträger (Kranken-, Renten-, Unfallversicherungsträger). Umfang, Dauer und Intensität der Maßnahmen richten sich nach den indikationsspezifischen Anforderungen und dem individuellen Rehabilitationsziel.

Als ergänzende Leistungen zur Erreichung und Sicherung des Zieles der ambulanten Rehabilitation kommen insbesondere in Betracht
− Entgeltersatzleistungen (v. a. Krankengeld, Übergangsgeld, Verletztengeld) einschließlich Sozialversicherungsbeiträge
− Reisekostenerstattung
− Betriebshilfe
− Haushaltshilfe
− Kinderbetreuungskosten
− Rehabilitationssport, Funktionstraining.

14. Verlängerungskriterien

Unter dem Gesichtspunkt einer individualisierten und ergebnisorientierten Rehabilitation ist auch im ambulanten Bereich eine Verlängerung möglich, sofern Rehabilitationsfähigkeit und eine positive Rehabilitationsprognose weiterhin gegeben sind. Erforderliche Verlängerungen können sich z. B. ergeben:
• aus kurzfristigen Unterbrechungen bei interkurrenten Erkrankungen oder
• bei einer Verzögerung des Rehabilitationsfortschritts bzw. der Erreichung des Rehabilitationsziels.
Dabei sind trägerspezifische Besonderheiten bzw. Verfahren zu berücksichtigen. Der Anspruch auf eine bedarfsgerechte und individuell passgenaue Leistung zur Teilhabe bleibt unverändert bestehen.

15. Teilhabe am Arbeitsleben

Der Rehabilitand im erwerbsfähigen Alter wird bei Bedarf im Verlauf der ambulanten medizinischen Rehabilitation zu Fragen der Teilhabe am Arbeitsleben beraten und unterstützt. Bei Einwilligung des Rehabilitanden kann bereits während der Rehabilitation der zuständige Betriebsarzt bzw. der Arbeitgeber angesprochen werden, um alle Möglichkeiten der Teilhabe am Arbeitsleben zu prüfen, z. B. durch eine stufenweise Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess oder um andere Maßnahmen der beruflichen Integration vorzubereiten.

Ist absehbar, dass der Rehabilitand nicht an seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren kann, und kommt auch eine innerbetriebliche Umsetzung auf einen anderen ggf. der Behinderung angepassten Arbeitsplatz voraussichtlich nicht in Betracht, ist ebenfalls der zuständige Träger der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben einzuschalten. Bei vorliegender Schwerbehinderung kommen auch begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, die in der Zuständigkeit der Integrationsämter liegen.

Ein Mitglied des Rehabilitationsteams ist als ständiger Ansprechpartner bzw. Kontaktperson für Fragen zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu benennen.

16. Dokumentation

Für jeden Rehabilitanden ist eine Dokumentation anzulegen, aus der alle rehabilitationsrelevanten Diagnosen mit den jeweils resultierenden Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit, Befunde sowie die durchgeführten/geplanten Therapieformen entnommen werden können, um den Rehabilitationsprozess transparent und vergleichbar zu machen.

Die Dokumentation muss insbesondere umfassen
− den individuellen Rehabilitationsplan des Rehabilitanden betreffend Art, Häufigkeit und Intensität der Behandlungselemente
− die Teilnahmedokumentation des Rehabilitanden in einem Behandlungsheft/Rehabilitationstagebuch
− sämtliche erhobene anamnestische Daten, klinische Befunde und deren Interpretation
− das individuell vereinbarte Rehabilitationsziel und die Bewertung des Rehabilitationserfolges durch Zwischenuntersuchungen in bestimmten Zeitabständen sowie die Abschlussuntersuchung/-befundung
− die Angaben zu den Visiten und Teambesprechungen/Fallkonferenzen
− den Entlassungsbericht.

17. Entlassungsbericht

Nach Beendigung der ambulanten Rehabilitation wird nach trägerspezifischen Regelungen ein an der ICF orientierter Entlassungsbericht erstellt und versandt. Der Rehabilitand erhält auf Wunsch den vollständigen Entlassungsbericht, soweit nicht schwerwiegende therapeutische oder sonstige bedeutsame Gründe entgegenstehen.

Der Entlassungsbericht muss u. a. folgende Angaben enthalten:
- den Rehabilitationsverlauf unter Angabe der durchgeführten Leistungen zur Teilhabe und
- Ergebnisse der abschließenden Leistungsdiagnostik und der sozialmedizinischen Beurteilung. Diese umfassen z. B.
• die sozialmedizinische Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Alltag bezogen auf die Selbständigkeit bei den Aktivitäten des täglichen Lebens, insbesondere zur psychosozialen Situation und/oder zur Frage der Vermeidung oder Minderung von Pflegebedürftigkeit
• die sozialmedizinische Beurteilung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben unter Bezugnahme auf den beruflichen Kontext
• unter Bezugnahme auf die relevanten Kontextfaktoren, insbesondere der Einstellung des Rehabilitanden zu Gesundheit/Krankheit und Hilfen, zur Krankheitsverarbeitung, zur Motivation zur Lebensstilveränderung
- Empfehlungen für weiterführende Leistungen zur Sicherung des Rehabilitationserfolges (z. B. Rehabilitationssport und Funktionstraining)
- Empfehlungen zur Wiedereingliederung in das soziale Umfeld bzw. zur psychosozialen Betreuung
- Empfehlung zur Wiedereingliederung in die berufliche Tätigkeit (z. B. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben).

Werden im Entlassungsbericht betriebliche Maßnahmen vorgeschlagen, sollte, mit Einwilligung des Rehabilitanden, auch der betriebsärztliche Dienst den Teil des Entlassungsberichts, der diese Vorschläge enthält, erhalten.

18. Kooperation

Die ambulante Rehabilitationseinrichtung arbeitet mit den anderen an der Versorgung der Rehabilitanden Beteiligten (z.B. niedergelassene Ärzte, Akutkrankenhäuser, Rehabilitationskliniken, Betriebsärzte, öffentlicher Gesundheitsdienst, Sozialstationen, Selbsthilfegruppen) eng zusammen.

Durch zweckmäßige Organisations- und Kooperationsformen ist sicherzustellen, dass die ambulante Rehabilitation als integrativer Bestandteil der regionalen Versorgungsstruktur zur möglichst raschen und dauerhaften Eingliederung der Rehabilitanden beiträgt.

19. Datenschutz

Es ist zu berücksichtigen, dass es für eine sachgerechte Fallsteuerung notwendig sein kann, die erforderlichen Informationen weiterzuleiten. Dabei müssen die datenschutz-rechtlichen Bestimmungen beachtet werden.

20. Qualitätssicherung

Für die ambulanten Rehabilitationseinrichtungen besteht die Verpflichtung, an einem Qualitätssicherungsprogramm der Rehabilitationsträger teilzunehmen.

20.1 Strukturqualität

Zur qualitätsgesicherten Struktur der ambulanten Rehabilitation müssen die in diesen Rahmenempfehlungen gestellten Anforderungen an die personelle, räumliche und apparative Ausstattung der ambulanten Rehabilitationseinrichtungen indikationsspezifisch erfüllt sein. Die Vorgaben gemäß Ziffer 2.2 „Barrierefreiheit“ sollen dabei als Orientierung dienen.

20.2 Prozessqualität

Vorgaben für den qualitätsgesicherten Verlauf der ambulanten Rehabilitation sind das Rehabilitationskonzept der Einrichtung und die individuellen Rehabilitationspläne der Rehabilitanden. Die Einhaltung der Rehabilitationspläne (Art, Häufigkeit, Dauer und Intensität der Maßnahmen) ist anhand einer patientenbezogenen standardisierten Dokumentation zu gewährleisten.

20.3 Ergebnisqualität

Im Rahmen der Zwischenuntersuchungen und der Abschlussbefundung ist zu überprüfen und zu dokumentieren, ob und in welchem Ausmaß das im individuellen Rehabilitationsplan definierte Rehabilitationsziel erreicht wurde. Falls aus medizinischen Gründen notwendig, werden Rehabilitationsziel und/oder Rehabilitationsplan modifiziert.

Katamnestische Erhebungen mit dem Ziel des Erkenntnisgewinns über die Realisierung vorgeschlagener Maßnahmen und Empfehlungen sind anzustreben. Dies gilt auch für die Teilhabe am Arbeitsleben und die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft.

21. Beendigung der Rehabilitation

Die ambulante Rehabilitation ist zu beenden, wenn sich erst während der Rehabilitationsleistung die unter Ziffer 5 genannten Ausschlusskriterien zeigen, oder wenn das Rehabilitationsziel erreicht ist, oder die medizinischen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.