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Zwanglos barrierefrei in die Zukunft
KV Niedersachsen und Hamburg gemeinsam mit Behindertenverbänden für frei zugängliche Praxen.
11.04.2008 • 0 Kommentare

Medizinische Leistungen müssen behinderte Menschen meist häufiger in Anspruch nehmen als der Durchschnitt der Bevölkerung. Die Wege zu den Anbietern aber sind ihnen nicht selten versperrt. Viele Praxen von Ärzten oder Therapeuten sind nicht behindertengerecht ausgestattet. Doch die Emanzipation der Behinderten und chronisch Kranken schreitet voran. Aus den einstmals allenfalls mitleidig Versorgten sind selbstbewusste Bürger geworden, die ihre Rechte und Bedürfnisse einfordern. In vielen Bereichen des öffentlichen Lebens ist der freie Zugang inzwischen selbstverständlich. Da kann es kaum Wunder nehmen, dass die Forderung nach behindertengerechten medizinischen Einrichtungen lauter wird. Nach Nordrhein-Westfalen (wir berichteten) springen nun auch Niedersachsen und Hamburg auf den Zug zur barrierefreien Praxis.

Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (KVN) und Vertreter von Selbsthilfe- und Patientenorganisationen wollen in den kommenden zwei Jahren die niedersächsischen Ärzte für das Thema Barrierefreiheit sensibilisieren. Gleichzeitig soll ein gemeinsamer "Maßnahmekatalog" abgestimmt werden. Das "niedersächsische ärzteblatt" wird künftig regelmäßig berichten, welche Widrigkeiten Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen bei Praxisbesuchen vorfinden und wie die Hemmnisse beseitigt werden könnten. Die Betroffenen wollen einen Kriterienkatalog erarbeiten, der den Ärzten aufzeigt, wie breit etwa eine Tür sein muss, damit ein Rollstuhlfahrer ungehindert in die Praxisräume gelangt.

"Barrierefreiheit von Arztpraxen ist keineswegs eine zusätzliche ärztliche Leistung. Sie ist kein Luxusangebot, sondern Voraussetzung für die Teilnahme an der medizinischen Versorgung", betonte der Vorsitzende des Niedersächsischen Landesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte, Klaus Dickneite. Die KVN sorgt sich um die Kosten für bauliche Veränderungen. "Hier muss auch die öffentliche Hand ihrer Verantwortung nachkommen. Die Teilhabe behinderter Menschen ist gesetzlich verankert. Ein freiberuflich tätiger Arzt kann nicht allein gelassen werden mit der Finanzierung von Umbaumaßnahmen oder der Neuanschaffung medizinischer Geräte", sagte KV-Chef Eberhard Gramsch.

Soweit sind die niedergelassenen Ärzte in Hamburg noch nicht. Die KV in der Hansestadt (KVHH) hat zunächst zusammen mit der Landesarbeitsgemeinschaft für behinderte Menschen (LAG) einen Fragebogen entwickelt und an alle Hamburger Arztpraxen verschickt. Von den 4.110 Arzt- und Psychotherapiepraxen sind 592 barrierefrei, 996 "bedingt barrierefrei". Die KVHH hat die LAG um Mitteilung gebeten, wenn sich eine als barrierefrei deklarierte Praxis nach den Erfahrungen von Patienten als nicht behindertenfreundlich erweisen sollte. "An solchen Rückmeldungen ist die KVHH sehr interessiert", erklärte Vorstandsreferentin Barbara Radke. Auch andere Kassenärztliche Vereinigungen bekundeten Interesse am Hamburger Fragebogen. Das Problembewusstsein sei bei den Kassenarztvereinigungen "deutlich gestiegen", sagte die KV-Referentin.

Abgesehen von den länderspezifischen Bauvorgaben gibt es keinen Zwang, die Praxen von Ärzten oder Therapeuten barrierefrei zu gestalten. Die Verantwortung für die Versorgung der Patienten allerdings sollte jeden Praxisbesitzer motivieren, sich mit der Problematik zu befassen. Und nebenbei: Wer will schon auf eine ganze Patientengruppe verzichten?



Peter Appuhn
physio.de



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