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Zirkuskunst als Therapie
Straßburger Experiment zeigt verblüffende Erfolge bei Verhaltensstörungen und Autismus.
29.03.2004 • 0 Kommentare

Maxime balanciert auf einem großen Gummiball und ist glücklich. "Guckt mal, ich kann es ganz allein", ruft der Achtjährige dem Psychiater und den beiden Krankenschwestern zu, die im Zirkuszelt in der ersten Reihe sitzen. Normalerweise kann der kleine Junge nicht ertragen, dass jemand ihn ansieht - eines der Symptome der Psychose, an der er leidet. "Doch hier ist er wie umgewandelt - er will, dass man ihm zusieht", betont Laurette Matter, die als Krankenschwester in der Abteilung für Kinderpsychiatrie der Straßburger Universitätsklinik arbeitet.

Maxime gehört zu einer Gruppe von 34 psychisch kranken Kindern zwischen sechs und 14 Jahren, die sich ein Mal pro Woche in der Straßburger Zirkusschule "Graines de Cirque" im Jonglieren, Salto-Springen, Balancieren und anderen akrobatischen Kunststücken üben. Die Ausflüge ins Zirkuszelt am Rheinufer sind ein Experiment, das vor drei Jahren gestartet wurde. "Damals stieß die Idee auf viel Skepsis und wenig Begeisterung", erinnert sich der Psychiater Mathieu Lacambre, begeisterter Zirkus-Anhänger und Initiator des Projekts. Doch mittlerweile habe sich das Experiment bewährt.

"Der Zirkus bringt die kleinen Patienten dazu, über ihren Schatten zu springen, Ängste zu überwinden, sich einer Herausforderung zu stellen", erläutert der 30-jährige Arzt. Insofern seien die Kunststücke im Zirkuszelt Teil der Therapie, eines unter anderen Mitteln, die Kinder von ihren psychischen Störungen zu befreien. Besonders deutlich seien die Erfolge mit autistischen Patienten, deren Kommunikation mit der Umwelt gestört sei. "Wir lassen sie Pyramiden bilden - indem sie anderen auf die Schulter steigen und wieder andere tragen, müssen sie in Kontakt zueinander treten und lernen, sich gegenseitig zu vertrauen."

Beim Springen auf dem Trapez etwa bekämen die kleinen Patienten ein Gefühl für den eigenen Körper. Dies helfe vor allem autistischen oder schizophrenen Kindern, die oft das Gefühl hätten "neben dem eigenen Körper zu stehen", betont Lacambre, der selbst als kleiner Junge Zirkuskunststücke lernte und noch heute als Hobby-Jongleur auftritt. "Selbst Kinder mit schweren Psychosen, die oft kaum ansprechbar waren, gehen mit der Zeit aus sich heraus".

Aber auch für Christophe Millet, der an der Zirkusschule unterrichtet, ist die Arbeit mit den Psychiatrie-Patienten ein ganz besonderes Erfolgserlebnis: "Man merkt richtig, wie die sich freuen, wenn ihnen etwas gelingt", betont der Akrobat. Die Übungen hätten offensichtlich "etwa Befreiendes" für die Kinder. "Wenn eines mal nicht mitkommen kann, ist es ganztraurig und will von den anderen genau wissen, was sie gemacht haben", berichtet Matter.

Für Lacambre hat das Experiment noch einen positiven Nebeneffekt: Es bezieht die Eltern mit ein - denn sie müssen Subventionen zur Deckung der Kosten zusammentrommeln. Dazu haben sie sich zu einem gemeinnützigen Verein zusammengeschlossen, der Spenden sammeln darf. Auch haben die Angehörigen ab und an Gelegenheit, die Zirkuskunststücke der Kinder zu bewundern. "Viele Eltern fühlen sich von der Behandlung ausgeschlossen und leiden darunter", erläutert der Psychiater. "Dank der Zirkusschule können sie etwas Konkretes für ihre Kinder tun".


Quelle: AFP








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