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Es wurden Licht und Schatten anhand unterschiedlicher Aspekte hervorgehoben. Klar ist, dass der derzeit im politischen Berlin kursierende erste Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Berufe in der Physiotherapie (Physiotherapieberufereformgesetz – PhyThBRefG) nur vorläufiger Natur ist und nicht mit dem Ziel einer Verbände-Kommentierung im Umlauf gebracht wurde. Dennoch werden in dem Entwurf Weichenstellungen erkennbar. Diese zu kommentieren, um gerade in dieser frühen Phase des Gesetzgebungsprozesses etwas zur konstruktiven Weiterentwicklung des Entwurfs beitragen zu können, war das Ziel des Workshops.
Studienziele
Die Beschreibung der Studienziele und damit der mit dem Studium zu erwerbenden Kompetenzen entsprechen im Grundsatz den Erwartungen, die sich aus dem Niveau 6 des Deutschen Qualifikationsrahmen bzw. dem Niveau 1 des Qualifikationsrahmens für Deutsche Hochschulabschlüsse (HQR) ergeben. Insbesondere die Zuschreibung der Kompetenzen für die eigenverantwortliche Steuerung, Planung und Gestaltung der Therapie inklusive physiotherapeutischer Diagnostik ist zu begrüßen. Damit sind die wesentlichen Kompetenzen beschrieben, die die Voraussetzungen für einen Direktzugang nach Abschluss des Studiums bilden und die Entwicklung weiterführender Master-Studiengänge ermöglichen.
Teil- und Vollakademisierung
Die Zweiteilung des therapeutischen Prozesses wie auch der Berufsgruppe der Physiotherapeut*innen ist jedoch hochproblematisch, sofern sie nicht als Übergangszeitraum, sondern als Dauerzustand angelegt ist. Dazu finden sich jedoch in dem Gesetzentwurf keine expliziten Angaben. Dies halten wir für ein grundfalsches Signal, insbesondere da sich die Begründung der Teilakademisierung explizit auf die Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 2023 zur Weiterentwicklung der Gesundheitsfachberufe stützt. Der Wissenschaftsrat macht an mehreren Stellen in dem Gutachten deutlich, dass die Empfehlungen einer Akademisierung von 10 bis 20 Prozent als Zwischenziel anzusehen sind. So heißt es z.B. auf S. 68 der Empfehlungen:
„Der Wissenschaftsrat hält es für einen gangbaren Weg, zunächst mehrere Ausbildungswege (hochschulisch und berufsfachschulisch) offen zu halten, auch wenn sich daraus möglicherweise andere Probleme ergeben (Konkurrenz der Ausbildungssysteme, Unterhaltung von Doppelstrukturen). Er empfiehlt jedoch, die internationale Entwicklung und Anschlussfähigkeit im Blick zu behalten und in zehn Jahren auf Basis der erreichten Akademisierungsquoten und des erzielten Aufbaus der wissenschaftlichen Disziplinen differenziert zu prüfen, welche weiteren Entwicklungen erforderlich sind.“
Wenn der hochschulische und der berufsfachschulische Ausbildungsweg nur zunächst offengehalten werden sollen, so bedeutet dies, dass einer der beiden mittel- oder langfristig aufgegeben werden soll. Da ganz sicher jetzt nicht Studiengänge aufgebaut werden sollen, um sie anschließend wieder aufzugeben, ist klar, dass nach einer Übergangszeit der berufsfachschulische Weg nicht mehr fortgeführt werden soll. Auch der Hinweis auf die internationale Anschlussfähigkeit und Entwicklung kann nur so verstanden werden, da auf europäischer Ebene und nahezu weltweit eine hochschulische Ausbildung in der Physiotherapie längst Standard ist.
Um den Akteur*innen und Stakeholdern (Berufsinteressierte, Studierende, Auszubildende, Lehrende an Schulen und Hochschulen sowie die Bildungs- und Versorgungseinrichtungen) zu ermöglichen, ihre individuellen berufsbiographischen und organisatorisch-strategischen Zielen an einer planbaren Zukunft auszurichten, sollte diese Perspektive auch in dem Gesetzentwurf festgeschrieben werden. Letztlich ist die Vollakademisierung aus einer Vielzahl von Gründen ein Sachzwang. Zu nennen ist hier insbesondere die höhere Therapie-Effizienz. Gerade die höheren Kompetenzen gepaart mit einer höheren Autonomie und Entscheidungsfreiheit in der Therapie wirken dem aktuellen Therapeut*innenmangel entgegen. Allerdings müssen hierzu auch entsprechende Bedingungen und attraktive Karrierepfade im Versorgungssystem geschaffen werden. Nicht die Quantität der Therapeut*innen, sondern die Qualität der Therapie ist für zukünftige Versorgungssicherheit entscheidend. Gerade junge Menschen vor der Berufswahl könnten ohne Einsicht in diese Sachzusammenhänge leicht Entscheidungen treffen, die ihren eigentlichen Zielen nicht gerecht werden.
Finanzierung der berufspraktischen Ausbildung
Die Kosten der berufspraktischen Ausbildung müssen für beide Formen des Berufszugangs gleichermaßen refinanziert werden. Dies betrifft insbesondere die Praxisanleitung, aber auch sonstige Kosten. Für die hochschulische Ausbildung werden im Gesetzentwurf dazu keine Aussagen getroffen. Es muss aber sichergestellt werden, dass die Hochschulen den Berufsfachschulen bei der Refinanzierung der Kosten der berufspraktischen Ausbildung gleichgestellt sind.
Aufgaben der Physiotherapie
Unverständlich ist die Begrenzung der Physiotherapie auf bestimmte Körperstrukturen (bewegungsbezogene und funktionale Beeinträchtigungen des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes) und die explizite Nennung von Behandlungstechniken. Dies wird auch der bisherigen Praxis der Physiotherapie nicht gerecht. Sinnvoller erscheint es, auf solche Einschränkungen der Therapie zu verzichten. Stattdessen empfiehlt sich die Nennung der Handlungsfelder Gesundheitsförderung, Prävention, Kuration, Rehabilitation und Palliation in den Studienzielen
Der Workshop endete mit einem Aufruf:
Das Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen ruft den Gesetzgeber auf, an geeigneter Stelle im Gesetzentwurf die Perspektive einer zukünftigen Vollakademisierung deutlich zu machen und die Durchführung von Begleitforschung zu den Auswirkungen des Gesetzes und einer Evaluation des Akademisierungsprozesses in zehn Jahren festzulegen. Auch der Wissenschaftsrat hält diesen Zeitpunkt für eine Neubefassung mit dem Thema für adäquat.
Pressemitteilung des Bündnisses Therapieberufe an die Hochschulen vom 19. März 2024
AusbildungGesetzAkademisierungWissenschaftsratPressemeldung
Der Staat hat sich immer weiter aus der Ausbildung in einem Bereich der Daseinsfürsorge zurückgezogen während unsere Berufsvertretungen sich fortlaufend im Klein-Klein der Berufspolitik aufgehalten haben. Daneben hat man um die unzureichende Ausbildung eine Fortbildungsindustrie aufgebaut, die sich selbst am Leben erhalten hat.
3/4 der Fachschulen sind mittlerweile in privater Hand. Die Finanzierung ist rechtlich nicht einfach und zudem auch noch in der Ausführung kompliziert.
Bund, Länder, Krankenkassen und private Träger sind an einem relativ einfachen Sachverhalt beteiligt und schon daran kann man sehen, wie schwierig es wird, die Fehler der letzten 30 Jahre auszubügeln.
Egal, wie man es wendet, es wird am Ende zu massiven Verwerfungen kommen.
Stellt man auf die Vollakademisierung ab, verlieren wir einen erheblichen Teil der Azubis und wissen trotzdem nicht, wo das Lehrpersonal dafür herkommen soll.
Lassen wir Parallelstrukturen zu, ist das das Ende der Vollakademisierung, insbesondere dann, wenn eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, die es im Hochschulbereich nicht geben wird.
Das alles ändert aber nichts daran, dass wir jetzt schon mal die Anforderungen an Lehrpersonal hochschrauben und somit die Kapazitäten an den Schulen reduzieren.
Es war wirklich nicht einfach aber ich glaube, wir haben es geschafft, uns mit einer Kugel in beide Knie zu schiessen.
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Das Fazit ist ein echter "Ulhorn". sweat_smile
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Michael Schiewack schrieb:
Kurz, prägnant und sehr vieles treffend beschrieben
Und
Das Fazit ist ein echter "Ulhorn". sweat_smile
Wahrscheinlich wird es mittelfristig zu einer Reduzierung der Ausbildungsplätze kommen. Aber das System Ausbildung hat bisher wunderbar auf dem Prinzip Ausbeutung funktioniert. Deshalb lieber weniger faire Ausbildungsplätze, als mehr unfaire.
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Bubatz schrieb:
Die Schulen werden zehn Jahre Zeit haben, die Anforderungen an die Qualifikationen des Lehrpersonal und Leitung zu erfüllen. Zugegeben sollte das schon deutlich früher fix sein. Dazu haben sie zwei Jahre Zeit Kooperationen mit den praktischen Ausbildungsstätten zu vereinbaren ( Ausbildungen, die nach dem 01.01.2027 beginnen müssen auf jeden Fall eine Ausbildungsvergütung beinhalten. Bis dahin kann weiter nach dem alten Gesetz ausgebildet werden ( es gilt der Beginn der Ausbildung ), wenn die jeweiligen Bundesländer nichts anderes bestimmen ).
Wahrscheinlich wird es mittelfristig zu einer Reduzierung der Ausbildungsplätze kommen. Aber das System Ausbildung hat bisher wunderbar auf dem Prinzip Ausbeutung funktioniert. Deshalb lieber weniger faire Ausbildungsplätze, als mehr unfaire.
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Jens Uhlhorn schrieb:
An diesem vermurksten Entwurf und dem Appell des Bündnisses lässt sich gut ablesen, wie grundfalsch die Weichenstellungen der Vergangenheit waren.
Der Staat hat sich immer weiter aus der Ausbildung in einem Bereich der Daseinsfürsorge zurückgezogen während unsere Berufsvertretungen sich fortlaufend im Klein-Klein der Berufspolitik aufgehalten haben. Daneben hat man um die unzureichende Ausbildung eine Fortbildungsindustrie aufgebaut, die sich selbst am Leben erhalten hat.
3/4 der Fachschulen sind mittlerweile in privater Hand. Die Finanzierung ist rechtlich nicht einfach und zudem auch noch in der Ausführung kompliziert.
Bund, Länder, Krankenkassen und private Träger sind an einem relativ einfachen Sachverhalt beteiligt und schon daran kann man sehen, wie schwierig es wird, die Fehler der letzten 30 Jahre auszubügeln.
Egal, wie man es wendet, es wird am Ende zu massiven Verwerfungen kommen.
Stellt man auf die Vollakademisierung ab, verlieren wir einen erheblichen Teil der Azubis und wissen trotzdem nicht, wo das Lehrpersonal dafür herkommen soll.
Lassen wir Parallelstrukturen zu, ist das das Ende der Vollakademisierung, insbesondere dann, wenn eine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, die es im Hochschulbereich nicht geben wird.
Das alles ändert aber nichts daran, dass wir jetzt schon mal die Anforderungen an Lehrpersonal hochschrauben und somit die Kapazitäten an den Schulen reduzieren.
Es war wirklich nicht einfach aber ich glaube, wir haben es geschafft, uns mit einer Kugel in beide Knie zu schiessen.
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Halbtitan schrieb:
Auf die Karriereoption ,,Prekärer wissenschaftlicher Mitarbeiter" hat die Physiotherapie nur gewartet.
Das immer wieder angestrebte Ziel, GKVen und PKVen zu vereinheitlichen, gäbe m.E. in dem Zusammenhang Sinn, wenn das Niveau dann nicht auf GKV-Niveau abgesenkt, sondern auf PKV-Niveau angehoben würde.
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WinnieE schrieb:
Die derzeitige Maxime der GKVen zur Qualität der Gesundheitsversorgung durch Akademiker=Ärzte "ausreichend ist genug" > = Schulnote 4, verbunden mit den uns nur allzu bekannten Gängelungen der Ärzte, um Kosten zu sparen, soll sich mit Akademisierung der Physios ändern?
Das immer wieder angestrebte Ziel, GKVen und PKVen zu vereinheitlichen, gäbe m.E. in dem Zusammenhang Sinn, wenn das Niveau dann nicht auf GKV-Niveau abgesenkt, sondern auf PKV-Niveau angehoben würde.
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Jens Uhlhorn schrieb:
Der Entwurf wurde zurückgezogen. Derzeit gibt es keinen Status.
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Bubatz schrieb:
Hier das sehr fertige Gesetz zum selbst nachlesen.
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