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Die (Hand)-Werkzeuge von PhysiotherapeutInnen bestehen in der Regel aus manueller Therapie in Form von Mobilisation und Traktion, Bewegungstherapie und neurodynamischen Techniken. Letztere können sowohl passiv appliziert als auch aktiv vom Betroffenen selbst durchgeführt werden. In der Praxis fällt auf, dass ein Teil der PatientInnen von den Maßnahmen profitiert, andere wiederum nicht. Das hat nichts mit schlechter Technik oder zu wenig besuchten Fortbildungen zu tun, denn auch die Studienlage zu dem Thema zeigt ähnliche Befunde.
Eine Traktion der Halswirbelsäule, manuell oder mechanisch appliziert, hat einer Meta-Analyse zufolge zwar signifikante, aber keine klinisch relevanten Effekte auf Schmerz.
Als ähnlich schwach erweist sich die Datenlage zur Trainingstherapie. Von neun in einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2019 eingeschlossenen Studien, fanden die ForscherInnen in sechs Datensätzen einen positiven Effekt auf Schmerz, drei Untersuchungen finden überhaupt keinen Effekt. Fünf der hier inkludierten Studien untersuchten den Effekt auf die Funktion der oberen Extremität und fanden immerhin bei drei der Studien einen positiven Effekt. Allerdings wiesen auch hier zwei Studien keinen Vorteil gegenüber der Kontrollintervention auf.
Es bleiben also noch die neurodynamischen Techniken. Hier ahnt der kluge Leser wahrscheinlich bereits, was kommt: Frisch veröffentlicht, konstatieren Paraskevopoulos et al. in ihrer Meta-Analyse aus dem November 2022: „Moderate Studienqualität unterstützt die Annahme, dass Übungen für die Verbesserung der Nervenmobilität besser gegen Schmerz, Funktionsverlust und Bewegungseinschränkungen helfen als gar keine Behandlung. (…) Besser als andere Interventionen, sind Übungen für die Nervenmobilisation nicht.“
Und jetzt?
Schwammige Aussagen, wie sie in den drei Meta-Analysen zu finden sind, können schnell dafür sorgen, dass PhysiotherapeutInnen die Lust am evidenzbasierten Arbeiten verlieren. Was soll ein Praktiker aus so etwas schon ziehen? Wohlgemerkt: Im Mittelwert zeigen die Therapiestrategien nur geringe Effekte. Es gibt aber auch Ausreißer nach oben oder unten. Ob dies durch Zufall geschieht, oder manche Menschen eher durch die einzelnen Therapieformen profitieren, kann man derzeit nicht sagen. Man darf es aber auch nicht ausschließen.
Um den Nutzen der Behandlungsoptionen in der Praxis einzuschätzen, sollten die Daten erst einmal in den Gesamtkontext gesetzt werden. Dabei ist zunächst einmal wichtig klarzustellen, was passiert, wenn überhaupt nicht therapiert wird. Das hilft wiederum, sich selbst und auch den PatientInnen bewusst zu machen, wie physiotherapeutisch wirklich geholfen werden kann und welche Ansprüche an die Physiotherapie wahrscheinlich unrealistisch sind.
Übersichtsstudien zur Spontanremission sind leider nicht vorhanden, aber ein Blick in eine schon ältere randomisiert kontrollierte Studie von Kuijper et al. kann einen ersten Eindruck dazu verschaffen, wie lange die Erkrankung normalerweise dauern könnte: Von 205 PatientInnen mit einer Radikulopathie der Halswirbelsäule erhielt hier ein Drittel der ProbandInnen Physiotherapie, ein Drittel eine Halskrause und ein weiteres Drittel überhaupt keine Therapie (eine sogenannte „wait and see“-Gruppe). Die ausstrahlenden Schmerzen beschrieben die PatientInnen zu Beginn der Studie mit einer Intensität von ungefähr sieben von zehn. Am Ende der Studie, nach sechs Monaten, sank die Schmerzintensität auf einen Wert von null. Und zwar bei allen Interventionsgruppen!
Die Physiotherapie hatte also „nur“ den Zeitraum bis zur natürlichen Heilung schmerzärmer und damit wahrscheinlich lebenswerter gemacht. Bedauerlicherweise gab es auch „Ausreißer“, mit einem Schmerz von immer noch vier von zehn auf der visuellen Analogskala. Dieser Befund war ebenfalls in allen Gruppen zu finden. Bei diesen PatientInnen muss in Zukunft eventuell über eine invasivere Therapiemethode nachgedacht werden.
Der Körper heilt, der Physio macht den Rest
Ein halbes Jahr ist eine lange Zeit. Wenn Menschen sich in dieser Zeit zurückziehen, kann das Konsequenzen sowohl für die biologische, als auch für die psychosoziale Gesundheit haben. Schön, wenn der Arm nach einem halben Jahr im Bett liegen nicht mehr weh tut, aber hilft das, wenn nun keine Kraft mehr im Körper ist? Oder (vielleicht) sogar noch schlimmer: Der Partner hat sich verabschiedet, weil in der Beziehung nur noch von Schmerz und Leid die Rede war.
Diese Dimensionen mit Empathie zu erfassen und gemeinsam mit eigener Erfahrung, der verfügbaren Evidenz und dem Patienten zu entscheiden, welche Form von Physiotherapie in der Zeit der natürlichen Heilung ein bestmögliches Leben bewirkt, bedeutet professionelles Arbeiten – also evidenzbasierte Praxis.
Zudem nimmt es den Druck von PhysiotherapeutInnen. Sie müssen nicht heilen und können es auch nicht. Manuelle Therapie, neurodynamische Techniken und Trainingstherapie können aber dazu führen, die Lebensqualität zu erhalten. Im Durchschnitt nach Studienlage sind sie gleich effektiv. Daher können sich PatientInnen also aussuchen, welche Therapie für sie am besten infrage kommt. Das nennt man auch gemeinsame Entscheidungsfindung oder „Shared Decision Making“. Diese ist auch aus Motivationsgründen eine gute Sache, denn wenn Menschen eine Auswahl treffen dürfen, lehnen sie seltener Angebote komplett ab.
Übrigens: Wer vielleicht besonders von unterschiedlichen Behandlungsansätzen profitieren könnte, wird gerade von ForscherInnen der Universität Lübeck und der Hochschule Osnabrück erforscht. Hier sollen je nach Symptomatik Subgruppen gebildet werden. Danach wird überprüft, ob diese besser von bestimmten Therapieformen profitieren. Zum Beispiel zeigten bereits Untersuchungen an der Lendenwirbelsäule, dass Personen, die eine „Mechanosensitivität“ zeigen, also positiv einen Test der Nervendehnung wie den Lasegue- oder Slumptest reagieren, mehr von Neuroslidern und Tentionern profitieren. Ob dies auch auf Radikulopathien der Halswirbelsäule zutrifft, werden wir hoffentlich bald erfahren.
Daniel Bombien / physio.de
HWSNervenSchmerzenTherapiemethodenManuelle TherapieStudie
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M.Bo schrieb:
In der Physiotherapie ist alles schwammig, sogar das Lernmaterial in Aus- und Fortbildung.
Ist doch der ganze Therapieansatz nur noch durch Vorgaben ( Minutentaktung, Verordnung durch Arzt, Behandlerwissen und Patient ) sehr Eingeschränkt. Wäre die Medizin nicht zum Geldverdienen verdammt könnten viel mehr Erfolge erreicht werden. Ob nun Evidenzbasiert oder nicht, vielen Menschen reicht es schon wenn man mal zuhört und nicht einfach loslegt mit dem was man gelernt hat oder auch nicht.
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Sandalenmann schrieb:
Danke für den Beitrag. Ich finde es interessant das auch mal die Empathie zum Patienten betont wird.
Ist doch der ganze Therapieansatz nur noch durch Vorgaben ( Minutentaktung, Verordnung durch Arzt, Behandlerwissen und Patient ) sehr Eingeschränkt. Wäre die Medizin nicht zum Geldverdienen verdammt könnten viel mehr Erfolge erreicht werden. Ob nun Evidenzbasiert oder nicht, vielen Menschen reicht es schon wenn man mal zuhört und nicht einfach loslegt mit dem was man gelernt hat oder auch nicht.
Die Konsequenzen einer langen Symptomatik werden leider nicht oft bedacht! Noch ein Grund mehr, den Patienten genau zu befunden mit allen sozialen Aspekten. Oft fällt es schwer auch nach den Lebensumständen zu fragen, aber es ist für ein vertrauensvolles Patienten-Therapeuten-Verhältnis unabdingbar.
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Jan Dieckmann schrieb:
Danke für den guten Beitrag!
Die Konsequenzen einer langen Symptomatik werden leider nicht oft bedacht! Noch ein Grund mehr, den Patienten genau zu befunden mit allen sozialen Aspekten. Oft fällt es schwer auch nach den Lebensumständen zu fragen, aber es ist für ein vertrauensvolles Patienten-Therapeuten-Verhältnis unabdingbar.
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