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Phonagnosie
Wer spricht?
11.07.2011 • 0 Kommentare

Viele Menschen erkennen Anrufer sofort an der Stimme. Einigen fällt es schwer. Nur wenige können Stimmen überhaupt nicht erkennen: Sie sind von einer kaum untersuchten neurologischen Besonderheit betroffen, der Phonagnosie. Warum diese Einschränkungen im Stimmenerkennen auftreten, ist bislang ein Rätsel. Dass es sie gibt, ist selbst Betroffenen häufig nicht bewusst. Forscher des Leipziger Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften haben jetzt einen Online-Test entwickelt, mit dem jeder seine Fähigkeiten im Erkennen von Stimmen prüfen kann. Die Wissenschaftler suchen auf diesem Wege auch Versuchsteilnehmer für Studien. Die Erforschung der Phonagnosie könnte nicht nur all denen helfen, die Schwierigkeiten haben, Stimmen zuzuordnen, sondern auch wichtige Erkenntnisse über die Hirnfunktionen beim Personenerkennen liefern.

Phonagnosiker hören ganz normal, sind aber nicht in der Lage, andere Menschen – selbst enge Familienmitglieder und Freunde – an der Stimme zu erkennen. "Wie viele Menschen davon betroffen sind, ist unklar", sagt Katharina von Kriegstein, die am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften eine Forschungsgruppe leitet. Bei dem vergleichbaren Phänomen der angeborenen Prosopagnosie, der Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen, wird jedoch vermutet, dass ein bis drei Prozent der Bevölkerung betroffen sind.

Störungen in der Stimmwahrnehmung können durch Hirnverletzungen auftreten, beispielsweise nach einem Schlaganfall. Die MPI-Forscher interessieren sich aber besonders für die angeborene Form der Phonagnosie. Deren Existenz wurde erstmalig im Jahr 2008 durch Bekanntwerden des Falls "KH" belegt. Die Britin hatte stets Probleme damit, Stimmen zu erkennen – selbst ihre eigene Tochter muss am Telefon immer dazusagen wer sie ist.

Dass hinter dieser kleinen Alltagsschwäche ein neurologisches Phänomen stecken könnte, kam KH erst in den Sinn, als sie in der Zeitung einen Bericht über Menschen mit angeborener Gesichtsblindheit (Prosopagnosie) las. Daraufhin meldete sie sich bei Forschern des University College London (UCL). Deren Bericht in der Fachzeitschrift Neuropsychologia erregte großes Aufsehen, denn anders als bei allen bis dahin bekannten Fällen von Phonagnosie erwies sich KHs Gehirn im Magnetresonanztomografen als anatomisch völlig normal. Sie verfügt zudem über ein gutes Gehör und kann etwa Emotionen, Umweltgeräusche und männliche von weiblichen Stimmen problemlos unterscheiden. Nur die Zuordnung der Stimme zu einer Person gelingt ihr nicht.

Für die Forschung ist ein so selektives Defizit wie die angeborene Phonagnosie sehr interessant. "Wir könnten durch die Erforschung der Phonagnosie viel darüber lernen, wie Stimmen im Gehirn verarbeitet werden und eventuell auch welche Rolle verschiedene Merkmale der Stimme wie Tonhöhe, Klangfarbe und Rhythmus bei dem Wiedererkennen spielen“, sagt von Kriegstein. "Vielleicht werden wir dadurch in Zukunft verstehen, warum das menschliche Gehirn normalerweise so hervorragend im Erkennen vertrauter Stimmen ist, während Stimmerkennung per Computer immer noch nicht fehlerfrei funktioniert."

Aber dazu müssen erst einmal weitere Menschen mit Phonagnosie gefunden werden – und das ist gar nicht so leicht. "Wir kennen es bereits aus der Erforschung der angeborenen Gesichtsblindheit", sagt von Kriegstein: "Betroffene scheinen ihre Einschränkung selbst oft nicht wahrzunehmen", erläutert die Forscherin. Im Alltag entwickeln sie meist unbewusst Vermeidungsstrategien oder finden Wege, ihr Defizit auszugleichen." So orientieren sich Menschen, die Gesichter nicht identifizieren können, stattdessen oft an Merkmalen wie Größe, Kleidung und Gang ihres Gegenübers. KH, die erfolgreich als Managerin arbeitet, nimmt nur verabredete Telefongespräche entgegen.



Pressemitteilung Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.

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