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Neben mehreren Angestellten arbeiteten auch sechs Freie Mitarbeiter in der Praxis einer Physiotherapeutin. Vertraglich wurde vereinbart, dass die „Freien“ „ausschließlich in eigener Verantwortung“ arbeiten und nicht an Weisungen gebunden sind. Dafür erhielten sie 70 Prozent des Umsatzes für jede Behandlung. Die Abrechnung der erbrachten Leistungen erfolgte „über und durch“ die Praxisinhaberin.
Bei einer Betriebsprüfung überraschte das zuständige Finanzamt die Chefin mit der Botschaft, sie hätte umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbracht, da sie den Freien Mitarbeitern Räume und Geräte zur Verfügung gestellt und für sie die Abrechnungen erledigt habe. Im Ergebnis sah sich die erschrockene Praxisbesitzerin mit einem Umsatzsteuerbescheid konfrontiert.
Vertrag war nur auf dem Papier
Dem daraufhin angerufenen Finanzgericht Niedersachsen machte sie deutlich, dass die Freien Mitarbeiter zwar selbstständig gearbeitet hätten, sie aber die Behandlungsergebnisse und die therapeutischen Abläufe überwacht habe. Da die Mitarbeiter zudem über keine Kassenzulassung verfügten, fehlte ihnen die Berechtigung selbst abrechnen zu können. Auch wäre sie als Inhaberin der Praxis gegenüber den Patienten als Leistende aufgetreten. Somit seien die Freien Mitarbeiter wie die Angestellten nur ihre Erfüllungsgehilfen gewesen. Diesen Tatsachen entgegenstehende Formulierungen in den Honorarverträgen seien nur vereinbart worden, um eine Scheinselbstständigkeit und damit drohende Zahlungsverpflichtungen an die Sozialversicherungsträger auszuschließen.
Das beklagte Finanzamt dagegen argumentierte, die Freien Mitarbeiter hätten als eigenständige Unternehmer „Behandlungsleistungen gegenüber den Patienten bzw. Krankenkassen erbracht.“ Dafür spreche auch, dass die Praxisinhaberin ihnen gegenüber nicht weisungsbefugt war. Deren Leistungen beschränkten sich eben auf die Überlassung der Räume und die Erledigung der Abrechnung. Dies sei auch dadurch belegt, dass für Hausbesuche ein geringeres Honorar bezahlt wurde (85 Prozent gegenüber 70 Prozent bei Praxisbehandlungen). Das bedeute, 15 Prozent ihrer Bezahlung hätten die Mitarbeiter für Räume und Einrichtung eingesetzt.
Die Finanzrichter gaben der klagenden Therapeutin recht und hoben den Umsatzsteuerbescheid auf. Ein "Leistungsaustausch" hätte nur zwischen der Praxisbesitzerin und den Krankenkassen oder Privatpatienten bestanden. Gegenüber diesen Partnern sei sie auch in ihrem Namen aufgetreten. Zur Erfüllung der Leistungen hätte sie Angestellte und Freie Mitarbeiter beschäftigt. In einer "Leistungsbeziehung" zu Kassen oder Patienten stünden diese aber nicht. Wenn Patienten sich zur Behandlung angemeldet haben, hätten sie sich für die Praxis der Klägerin entschieden und nicht für einen bestimmten Therapeuten. Auch die Abrechnung sei als eigene Leistung der Praxischefin erfolgt. Sie hätte nicht, wie etwa eine Abrechnungsstelle, "nach außen erkennbar" die Behandlungen der Freien Mitarbeiter abgerechnet. Die Verträge mit den Mitarbeitern beträfen lediglich das "Innenverhältnis", also die Beziehung zwischen Chefin und Freien Mitarbeitern, für die Außenwirkung spielten diese keine Rolle. Das Gericht betonte, der Praxisalltag sei auch nicht wie vereinbart gelebt worden. In Wirklichkeit hätte sehr wohl eine Weisungsbefugnis bestanden, die freien seien in gleicher Weise wie die angestellten Mitarbeiter fachlich überwacht worden.
Und die BfA?
Das niedersächsische Finanzgericht hat sein Urteil zur Freistellung von der Umsatzsteuerpflicht in wesentlichen Teilen damit begründet, dass die Freien Mitarbeiter eigentlich gar keine echten Selbstständigen waren. So glücklich wie die betroffene Praxisinhaberin über die Entscheidung gewesen sein mag, darf man nicht außer Acht lassen, dass jetzt von anderer Seite Gefahr drohen könnte. Mehrfach betonen die Richter, zwischen Angestellten und Freien Mitarbeitern bestünden keine erkennbaren Unterschiede. Damit liefern sie der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) frei Haus die Begründung für die Rentenversicherungspflicht als Angestellter, was bedeuten würde, dass sowohl Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge fällig werden.
Wie gewonnen so zerronnen – dieses, wie auch die Urteile des Finanzgerichts Hamburg (wir berichteten), machen vor allen Dingen eines deutlich: Finanzamt und BfA gleichermaßen zufrieden zu stellen kommt einem Seiltanz gleich. Ist der Freie Mitarbeiter ein vollgültiger Selbstständiger, wird der Praxisbesitzer von Rentenbeiträgen verschont bleiben. Im Gegenzug besteht die Gefahr der Umsatzsteuerpflicht. Unterscheidet sich die gelebte Tätigkeit nicht von der eines Angestellten, könnte die BfA aktiv werden.
Zwickmühle zwischen Finanzamt und BfA
Entwinden kann man sich dieser Zwickmühle nur, wenn der Balanceakt gelingt: Der Mitarbeiter ist nicht weisungsgebunden, d.h. er regelt selbst seine Arbeitszeiten, den Umfang seiner Tätigkeit und seinen Urlaub. Er führt ein eigenes Terminbuch und ist frei von allen betrieblichen Regelungen. Die fachlichen Belange allerdings werden mit dem Praxischef abgesprochen. Manifestieren ließe sich das beispielsweise in regelmäßigen Patientenbesprechungen.
Für alle, die dem Lavieren nichts abgewinnen können, gibt es eine schlichte und entspannende Lösung: Der Freie Mitarbeiter ist rundum selbstständig, und der Praxisinhaber bezahlt tatsächlich Umsatzsteuer, und zwar für die Umsätze, die bei ihm landen – z.B. 30 Prozent. Allerdings sollte man bei dieser Variante auf einer Statusfeststellung durch die BfA bestehen. So schrecklich, wie diese Lösung auf den ersten Blick aussehen mag, ist sie in Wahrheit gar nicht.
Einzelheiten dazu und vieles mehr kann man in unserem „Special: Freier Mitarbeiter“ nachlesen.
Peter Appuhn
physio.de
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