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Das erlebten die diesjährigen GewinnerInnen des Nobelpreises für Medizin sogar mehrfach: Die ungarische Biochemikerin Katalin Karikó und der amerikanische Internist und Immunologe Drew Weissman standen mehrmals vor dem wissenschaftlichen Aus und machten doch einfach weiter.
Beide wurden kürzlich vom schwedischen Nobelpreiskomittee für ihre Forschung rund um die mRNA ausgezeichnet, die schließlich zur Entwicklung von Corona-Impfstoffen geführt hat.
Man muss schon sehr an eine Sache glauben, um so viel auszuhalten wie Katalin Karikó, die erst als dreizehnte Frau einen Medizinnobelpreis erhalten hat. Sie wurde 1955 im ungarischen Szolnok geboren, studierte, promovierte und forschte schon mit 22 Jahren zur Messenger-Ribonukleinsäure (mRNA) – zunächst an der Universität Szeged. Doch in den 1980er Jahren fehlten im finanziell klammen Osteuropa wichtige Ausgangsstoffe für ihre Forschung, bestimmte Liposome für den wichtigen Vorgang der Lipofektion. Ganz allgemein fehlte das Geld. Zudem wollte die ungarische Staatssicherheit Karikó zur aktiven Mitarbeit zwingen, um ForscherkollegInnen auszuspionieren. Sollte sie das nicht tun, drohte die Stasi, würde ihr ehemals politisch aktiver Vater genauso darunter leiden wie Karikós wissenschaftliche Karriere.
Die Forscherin sah keinen anderen Ausweg als woanders von vorn zu beginnen: 1985 packte sie ihre Koffer und zog mit ihrem Mann, ihrer zweijährigen Tochter und wenigen hundert Dollar versteckt im Teddybär des Kinds in die USA – zunächst nach Bethesda an die dortige University of Health Science und später, ab 1989, nach Philadelphia an die University of Pennsylvania. Dort forschte sie weiter an mRNA. Doch auch dort musste sie wieder kämpfen: Ihre Vorgesetzten fanden ihre Forschung nicht so wichtig – mRNA war damals einfach nicht besonders hip. Und obwohl sie zwei Jahre lang Antrag um Antrag gestellt hatte, wurde sie nach fünf Jahren ohne Geld automatisch herabgestuft und war plötzlich kein Fakultätsmitglied mehr. 1995 erhielt sie zudem die Diagnose Brustkrebs.
Es gab aber auch einen Glücksfall: Drei Jahre später begegnete Karikó an der University of Pennsylvania dem 1955 in Lexington / USA geborenen Weissman – in der Warteschlange vor einem Kopierer. Weissmann hatte vorher in verschiedenen renommierten Laboren gearbeitet und sich das hehre Ziel gesetzt, einen Impfstoff gegen HIV zu entwickeln. Er interessierte sich für Karikós Forschung zur mRNA. Sein eigenes Spezialgebiet waren dendritische Zellen – körpereigene Abwehrzellen, die fremdartige Strukturen von Erregern wie HIV oder eben Covid 19 sowie entartete Zellen wie Krebszellen erkennen können. Die beiden ForscherInnen taten sich zusammen. Ihr Ziel: Impfstoffe zu entwickeln, die schnell und in großen Mengen hergestellt werden können, ohne dass man dafür einen langwierigen Prozess braucht, wie das bisher bei Impfstoffen auf der Basis von Viren oder Teilen von Viren der Fall war.
Doch auch mit Weissman an ihrer Seite lief es bei Karikó nicht richtig: ihre im Reagenzglas erzeugte mRNA führte bei Weissmans Labormäusen zu starken Entzündungen. Außerdem produzierten die Mäusezellen zu wenig der erhofften Proteine, die einen Impfstoff wirksam gemacht hätten. Jahrelang knabberten die beiden ForscherInnen an diesem Problem herum, das erneut drohte, ihre Forschung zum Stillstand zu bringen. Wieder wurde das Geld knapp, doch zu zweit war es einfacher durchzuhalten. Nach sieben Jahren Versuch und Irrtum fanden sie schließlich die Lösung, indem sie den Baustein Uridin an ihrer künstlichen mRNA durch Pseudouridin ersetzten. Nun tolerierten die Mäusezellen nicht nur die künstliche mRNA, sondern sie produzierten auch genügend Proteine. Die beiden WissenschaftlerInnen freuten sich und veröffentlichen ihre bahnbrechende Entdeckung schon 2005 in der Fachzeitschrift Immunity. Sie dachten, sie hätten es endlich geschafft.
Doch wieder gab es Probleme: Keiner interessierte sich für ihre Publikation. Zudem gab es erneut Schwierigkeiten mit den Liposomen, die beim Menschen nicht funktionierten. Karikó und Weissman hätten bestimmte, an den Menschen angepasste Lipid-Nanopartikel gebraucht, die ihnen aber von ForscherkollegInnen verwehrt wurden. Nur die Pharmaindustrie konnte an diese Stoffe gelangen. Obwohl die beiden ihre Entdeckung patentiert hatten und sie mit Hilfe des Startups RNARx umsetzen wollten, rückte ihr eigener mRNA-Impfstoff in weite Ferne, als die ebenfalls am Patent beteiligte University of Pennsylvania das Patent verkaufte. Karikó stand mal wieder vor dem Nichts, packte wieder ihre Koffer und zog nach Mainz, wo die GründerInnen der Firma BioNTech, Uğur Şahin und Özlem Türeci sie 2013 zu ihrer Vizepräsidentin machten, während Weissman weiter in Philadelphia seiner Arbeit nachging.
In Mainz wurde Karikós Arbeit endlich gewürdigt, und mit genügend Geld im Rücken und der eigenen Expertise von Sahin und Türeci ging die Arbeit voran. Als 2020 die Pandemie losging, war die Firma bereits vorbereitet und nicht mehr aufzuhalten. Innerhalb weniger Monate, parallel zur amerikanischen Firma Moderna, entwickelte BioNTech einen ersten mRNA-Impfstoff gegen Covid-19, der Karikó und Weissman endlich den Ruhm brachte, der ihnen zustand. Der Nobelpreis zeichnet dieses Jahr also nicht nur zwei ausgezeichnete ForscherInnen aus, sondern auch zwei Menschen, die an eine Idee und an sich selbst glaubten und sich durch nichts und niemanden entmutigen ließen.
Stephanie Hügler / physio.de
NobelpreisMedizin2023Corona
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