Prävention im Setting
Individuelle Primärprävention ist schön und gut, nur die Hauptbedürftigen lassen sich leider schwer motivieren, aktiv zu werden. Die dicken, bewegungslosen Stubenhocker sind in den Kursen die Minderheit. Wie kann man dieses Problem lösen? Kommt der Bedürftige nicht zu mir, dann gehe ich eben zu ihm. Ich suche sein gesellschaftliches Umfeld auf. Setting-bezogene Prävention nennt man diesen Weg.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben in ihren „Handlungsfeldern und Kriterien zur Umsetzung des §20 SGB V“ die Gemeinde, Familie, die Schule und den Kindergarten als Settings festgelegt. Gesundheitsförderung in Schulen ist intensiv erforscht worden. Mehrere Modellversuche haben in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Sinnhaftigkeit der Bemühungen nachgewiesen. So liegt es nahe, dass die gesetzlichen Krankenkassen diesen Bereich in den Vordergrund stellen. Prävention in Schulen, wie natürlich auch im Kindergarten, hat gewichtige Vorzüge. Einmal haben die Betroffenen noch wenig automatisierte Verhaltensmuster und zum anderen können Stigmatisierungen, etwa von sozial benachteiligten Kindern, vermieden werden. Alle, unabhängig von Herkunft oder individuellen Vorlieben, sind beteiligt.
Die Technikerkrankenkasse (TK) bietet nach einer mehrjährigen Modellphase gemeinsam mit anderen Krankenkassen das Projekt „Gesunde Schule“ jetzt bundesweit an. Als „junge“ Krankenkasse, ein Viertel der Versicherten ist nicht älter als 18 Jahre, hat die TK sehr früh die Notwendigkeit erkannt, gerade Kinder und Jugendliche für das Thema zu sensibilisieren.
Die Kasse beschreibt ihr Projekt so: Es „soll in ein ganzheitliches Konzept schulischer Gesundheitsförderung eingebettet sein: Nicht nur Schüler und Lehrer, sondern das gesamte Schulpersonal wie auch Eltern werden angesprochen. Der Unterricht, das Schul- und Arbeitsklima, das soziale Miteinander, Schulräume, das Schulgelände sowie das direkte Umfeld werden unter die Lupe genommen. Es werden körperliche, geistige und soziale Faktoren, die sich gesundheitsbelastend auswirken, analysiert. Anschließend entwickeln die Schulen entsprechende Maßnahmen, um zum Beispiel Stress, Sucht, Gewalt und Bewegungsmangel vorzubeugen.“ Jede Schule in Deutschland kann einen Förderantrag stellen. Bis zu 5.000 Euro stellt die Kasse der Schule dann zur Verfügung. Mit diesem Geld können externe Fachleute, z.B. Physiotherapeuten, bezahlt werden. In einem Finanzierungsplan müssen die voraussichtlichen Kosten des Projektes nachgewiesen werden.
„Gesund leben lernen“ heißt ein gemeinsamer Modellversuch aller gesetzlichen Krankenkassen. 70 Schulen und zwei Kindertagesstätten in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt beteiligen sich daran. 750.000 Euro wollen die Kassen für das auf drei Jahre befristete Projekt ausgeben. Auch Fachkräfte werden aus diesem Topf bezahlt.
Wir werden immer älter und mit uns die gesamte Gesellschaft. Jeder Fernsehzuschauer weiß das inzwischen. Die Ausgaben für die kurative Behandlung alter Menschen fressen den weitaus größten Teil des GKV-Budgets. Da wäre es eigentlich nahe liegend, auch für diesen Personenkreis Präventionsangebote im Setting zu entwickeln. Aber bisher hat sich nur die AOK Baden-Württemberg der älter werdenden Menschen angenommen, und dies auch nur im Rahmen eines Modellversuches; „Sturzprävention in Pflegeheimen“ nennt sich das Projekt. Über 200 Heime beteiligen sich bereits, 300 sollen es bis Ende 2005 werden (wir berichteten im Mai darüber).
Familie und Gemeinde als Zielgruppe setting-bezogener Prävention, ein weites Feld von Möglichkeiten. In den Richtlinien werden sie genannt, beackert jedoch hat dieses Feld noch keine gesetzliche Krankenkasse.
Alle Setting-Angebote werden im Gegensatz zu individual-präventiven Maßnahmen unabhängig von der Kassenzugehörigkeit finanziert, nicht für den einzelnen Versicherten wird bezahlt, sondern für das ganze Projekt.
Betriebliche Gesundheitsförderung
Eigentlich ein Sonderfall der Prävention unter Settinggesichtspunkten ist die betriebliche Gesundheitsförderung. Krankenkassen ermitteln gemeinsam mit den Unternehmen die „Risiken, Risikofaktoren und Gesundheitspotenziale der Beschäftigten“ (aus: Handlungsfelder und Kriterien zur Umsetzung des §20 SGB V). Ursachen für Arbeitsunfähigkeit sollen analysiert werden, und in Gesundheitszirkeln finden die Mitarbeiter Gelegenheit, sich über Belastungen und gesundheitliche Beschwerden auszutauschen. Die Führungskräfte der Betriebe sind aufgerufen, Gesundheitsförderung als ein Unternehmensziel zu fixieren.
Etwa 30 Prozent aller Krankschreibungen gehen auf Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems zurück. Besonders Beschäftigte in den Wirtschaftszweigen Feinmechanik, Glas- Stahl- Gummierzeugung, Baugewerbe, kommunale Entsorgungsbetriebe, Personennahverkehr, Post und Bahn sind betroffen. Die Wirksamkeit physiotherapeutischer Maßnahmen zur Vorbeugung gegen die typischen Schäden sind durch Untersuchungen belegt und werden von den Krankenkassen deshalb auch nicht bezweifelt, im Gegenteil, die Kompetenz der Berufsgruppe wird in den Richtlinien erwähnt.
Arbeitsunfähigkeit ist teuer für die Betriebe. Bis zu 300 Euro am Tag kostet ein kranker Mitarbeiter. Sie ist auch teuer für die Krankenkassen, sie müssen für die Behandlung des Kranken aufkommen. Präventionsprogramme werden deshalb von vielen Krankenkassen und Betrieben gefördert. Die IKK Bayern zum Beispiel belohnt Unternehmen (bis zu 750 Euro) und Mitarbeiter (mit Bonusleistungen) gleichermaßen. In vielen Betrieben gehören Rückenprogramme und ähnliches bereits zum Alltag. Auch Großbetriebe wie die Deutsche Telekom, die Allianz, IBM oder die Commerzbank haben sich der gesundheitlichen Förderung ihrer Beschäftigten verschrieben.
Noch einmal werden wir uns der GKV widmen. Sie erfahren dann beispielsweise was ein Modellversuch ist. Hier am nächsten Samstag.
Peter Appuhn
physio.de
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Individuelle Primärprävention ist schön und gut, nur die Hauptbedürftigen lassen sich leider schwer motivieren, aktiv zu werden. Die dicken, bewegungslosen Stubenhocker sind in den Kursen die Minderheit. Wie kann man dieses Problem lösen? Kommt der Bedürftige nicht zu mir, dann gehe ich eben zu ihm. Ich suche sein gesellschaftliches Umfeld auf. Setting-bezogene Prävention nennt man diesen Weg.
Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben in ihren „Handlungsfeldern und Kriterien zur Umsetzung des §20 SGB V“ die Gemeinde, Familie, die Schule und den Kindergarten als Settings festgelegt. Gesundheitsförderung in Schulen ist intensiv erforscht worden. Mehrere Modellversuche haben in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Sinnhaftigkeit der Bemühungen nachgewiesen. So liegt es nahe, dass die gesetzlichen Krankenkassen diesen Bereich in den Vordergrund stellen. Prävention in Schulen, wie natürlich auch im Kindergarten, hat gewichtige Vorzüge. Einmal haben die Betroffenen noch wenig automatisierte Verhaltensmuster und zum anderen können Stigmatisierungen, etwa von sozial benachteiligten Kindern, vermieden werden. Alle, unabhängig von Herkunft oder individuellen Vorlieben, sind beteiligt.
Die Technikerkrankenkasse (TK) bietet nach einer mehrjährigen Modellphase gemeinsam mit anderen Krankenkassen das Projekt „Gesunde Schule“ jetzt bundesweit an. Als „junge“ Krankenkasse, ein Viertel der Versicherten ist nicht älter als 18 Jahre, hat die TK sehr früh die Notwendigkeit erkannt, gerade Kinder und Jugendliche für das Thema zu sensibilisieren.
Die Kasse beschreibt ihr Projekt so: Es „soll in ein ganzheitliches Konzept schulischer Gesundheitsförderung eingebettet sein: Nicht nur Schüler und Lehrer, sondern das gesamte Schulpersonal wie auch Eltern werden angesprochen. Der Unterricht, das Schul- und Arbeitsklima, das soziale Miteinander, Schulräume, das Schulgelände sowie das direkte Umfeld werden unter die Lupe genommen. Es werden körperliche, geistige und soziale Faktoren, die sich gesundheitsbelastend auswirken, analysiert. Anschließend entwickeln die Schulen entsprechende Maßnahmen, um zum Beispiel Stress, Sucht, Gewalt und Bewegungsmangel vorzubeugen.“ Jede Schule in Deutschland kann einen Förderantrag stellen. Bis zu 5.000 Euro stellt die Kasse der Schule dann zur Verfügung. Mit diesem Geld können externe Fachleute, z.B. Physiotherapeuten, bezahlt werden. In einem Finanzierungsplan müssen die voraussichtlichen Kosten des Projektes nachgewiesen werden.
„Gesund leben lernen“ heißt ein gemeinsamer Modellversuch aller gesetzlichen Krankenkassen. 70 Schulen und zwei Kindertagesstätten in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt beteiligen sich daran. 750.000 Euro wollen die Kassen für das auf drei Jahre befristete Projekt ausgeben. Auch Fachkräfte werden aus diesem Topf bezahlt.
Wir werden immer älter und mit uns die gesamte Gesellschaft. Jeder Fernsehzuschauer weiß das inzwischen. Die Ausgaben für die kurative Behandlung alter Menschen fressen den weitaus größten Teil des GKV-Budgets. Da wäre es eigentlich nahe liegend, auch für diesen Personenkreis Präventionsangebote im Setting zu entwickeln. Aber bisher hat sich nur die AOK Baden-Württemberg der älter werdenden Menschen angenommen, und dies auch nur im Rahmen eines Modellversuches; „Sturzprävention in Pflegeheimen“ nennt sich das Projekt. Über 200 Heime beteiligen sich bereits, 300 sollen es bis Ende 2005 werden (wir berichteten im Mai darüber).
Familie und Gemeinde als Zielgruppe setting-bezogener Prävention, ein weites Feld von Möglichkeiten. In den Richtlinien werden sie genannt, beackert jedoch hat dieses Feld noch keine gesetzliche Krankenkasse.
Alle Setting-Angebote werden im Gegensatz zu individual-präventiven Maßnahmen unabhängig von der Kassenzugehörigkeit finanziert, nicht für den einzelnen Versicherten wird bezahlt, sondern für das ganze Projekt.
Betriebliche Gesundheitsförderung
Eigentlich ein Sonderfall der Prävention unter Settinggesichtspunkten ist die betriebliche Gesundheitsförderung. Krankenkassen ermitteln gemeinsam mit den Unternehmen die „Risiken, Risikofaktoren und Gesundheitspotenziale der Beschäftigten“ (aus: Handlungsfelder und Kriterien zur Umsetzung des §20 SGB V). Ursachen für Arbeitsunfähigkeit sollen analysiert werden, und in Gesundheitszirkeln finden die Mitarbeiter Gelegenheit, sich über Belastungen und gesundheitliche Beschwerden auszutauschen. Die Führungskräfte der Betriebe sind aufgerufen, Gesundheitsförderung als ein Unternehmensziel zu fixieren.
Etwa 30 Prozent aller Krankschreibungen gehen auf Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems zurück. Besonders Beschäftigte in den Wirtschaftszweigen Feinmechanik, Glas- Stahl- Gummierzeugung, Baugewerbe, kommunale Entsorgungsbetriebe, Personennahverkehr, Post und Bahn sind betroffen. Die Wirksamkeit physiotherapeutischer Maßnahmen zur Vorbeugung gegen die typischen Schäden sind durch Untersuchungen belegt und werden von den Krankenkassen deshalb auch nicht bezweifelt, im Gegenteil, die Kompetenz der Berufsgruppe wird in den Richtlinien erwähnt.
Arbeitsunfähigkeit ist teuer für die Betriebe. Bis zu 300 Euro am Tag kostet ein kranker Mitarbeiter. Sie ist auch teuer für die Krankenkassen, sie müssen für die Behandlung des Kranken aufkommen. Präventionsprogramme werden deshalb von vielen Krankenkassen und Betrieben gefördert. Die IKK Bayern zum Beispiel belohnt Unternehmen (bis zu 750 Euro) und Mitarbeiter (mit Bonusleistungen) gleichermaßen. In vielen Betrieben gehören Rückenprogramme und ähnliches bereits zum Alltag. Auch Großbetriebe wie die Deutsche Telekom, die Allianz, IBM oder die Commerzbank haben sich der gesundheitlichen Förderung ihrer Beschäftigten verschrieben.
Noch einmal werden wir uns der GKV widmen. Sie erfahren dann beispielsweise was ein Modellversuch ist. Hier am nächsten Samstag.
Peter Appuhn
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