Kuration, Pflege, Prävention, Rehabilitation sind die vier Säulen unseres Gesundheitswesens. Die Pflege ausgenommen sind Physiotherapeuten auf allen Ebenen aktiv. Bereits während der Berufsausbildung werden die angehenden Therapeuten auf ein umfangreiches Arbeitsgebiet vorbereitet: „Die Ausbildung soll entsprechend der Aufgabenstellung des Berufs insbesondere dazu befähigen, durch Anwenden geeigneter Verfahren der Physiotherapie in Prävention, kurativer Medizin, Rehabilitation und im Kurwesen Hilfen zur Entwicklung, zum Erhalt oder zur Wiederherstellung aller Funktionen im somatischen und psychischen Bereich zu geben und bei nicht rückbildungsfähigen Körperbehinderungen Ersatzfunktionen zu schulen“ (Physiotherapeutengesetz § 8).
Weit vorausgeschaut haben die Autoren des mittlerweile zehn Jahre alten Berufsgesetzes. Denn die Prävention ist gerade erst dabei, sich zu einer tragfähigen, eigenständigen Säule zu entwickeln. Obwohl vom Gesetzgeber gleichberechtigt – sogar an erster Stelle – neben der kurativen Medizin und Rehabilitation aufgeführt, fristet die Prävention im Regelfall bereits in den Lehrplänen der Physiotherapie-Schulen ein eher untergeordnetes Dasein. Verwunderlich ist dies nicht, spielt doch die Heilung von Krankheiten im Verständnis der Schulmedizin bis heute die erste Geige. Die Beiträge der Versicherten der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen werden fast ausschließlich für die Behandlung der vielfältigen menschlichen Leiden ausgegeben. Folgerichtig findet die praktische Berufsausübung von Physiotherapeuten überwiegend auf dem Feld der kurativen Therapie statt, sei es im Krankenhaus oder in einer Praxis.
Eher in der Nähe einer naturheilkundlichen Sichtweise angesiedelt ist das Berufsverständnis und doch hinkten Generationen von Physiotherapeuten auf einem Bein. Die Verhältnisse haben sie gezwungen, einen Teil ihres ganzheitlich orientierten Menschenbildes zu amputieren. Doch die schulmedizinischen Grundsätze beginnen zu wanken, und am Horizont zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab. Nicht unbedingt ist es tiefer Humanismus, der den Präventionsgedanken fördert, der Blick in leere Kassen zwingt zum Umdenken. Der Reparaturbetrieb Gesundheitswesen ist nicht mehr finanzierbar. Die Vorgängerin von Ulla Schmidt im Amt der Bundesgesundheitsministerin, Andrea Fischer, hat mit dem § 20 des Sozialgesetzbuches V (SGB) den Grundstein für die vierte Säule im System der gesetzlichen Krankenversicherung gelegt. Aber die konsequente Umsetzung kommt nur schleppend voran. 2002 hätten die Krankenkassen für primäre Präventionsmaßnahem und Gesundheitsförderung in Betrieben 2,62 Euro für jeden Versicherten ausgeben sollen. Tatsächlich waren es aber nur 1,64 Euro, die zur Krankheitsverhütung aufgebracht wurden. Auch die jüngste Gesundheitsreform streicht die Bedeutung der Prävention heraus. Im Juni legten Ulla Schmidt, die Landesgesundheitsminister und die Sozialversicherungsträger den Grundstein für eine Präventionsstiftung und im Herbst soll ein eigenes Präventionsgesetz auf den Weg gebracht werden.
„Lohnenswerte Investitionen zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme“ sehen Rosemarie Apitz und Stefan Winter in einer aktuellen Bestandsaufnahme zur Prävention. Produktivitätssteigerungen, und Vermeidung von Pflegebedürftigkeit in einer stetig älter werdenden Gesellschaft seien die positiven Folgen konsequenter Vorbeugungspolitik. Neben aktiv Beschäftigten und alten Menschen fokussieren die Autoren Kinder als besonders wichtige Zielgruppe: „…Investitionen müssen schon in den Lebensjahren beginnen, in denen Verhaltensmuster aufgebaut und stabilisiert werden.“
Man unterscheidet drei Präventionsgruppen. Die Primärprävention richtet sich an alle Menschen ohne eine Disposition für ein bestimmtes Schädigungsbild. Die Sekundärprävention beschäftigt sich mit denjenigen, die ein besonderes Erkrankungsrisiko haben. Bei der Tertiärprävention denkt man an Menschen, die eine akute Erkrankung überstanden haben und durch bestimmte Maßnahmen einer Chronifizierung oder erneuten Erkrankung vorbeugen können.
Der Verzahnung der verschiedenen Präventionsstufen wird in Zukunft immer mehr Bedeutung zukommen. Und hier liegt eine besondere Chance für Physiotherapeuten. Selbstbewusst und offensiv können sie ihre Fähigkeiten herausstreichen. Ausgebildet in Therapie und Prävention gibt es keine andere Berufsgruppe, die über mehr Kompetenz verfügt, die Überscheidungen der Bereiche in sinnvolle und effektive Programme umzusetzen.
Die Beschränkungen, die viele Physiotherapiepraxen gerade erleben, sind politisch gewollt. Eine deutliche Ausgabenbegrenzung soll mit den neuen Heilmittelrichtlinien erreicht werden. Dies mag man beklagen, aber der Zug ist unumkehrbar. Wir wollen das Signal aufnehmen und die ganze Variationsbreite des Physiotherapie-Kosmos ausleuchten. Noch ist der Zeitpunkt zum Handeln günstig. Gerade erleben wir ein Umsteuern in der Gesundheitslandschaft. Physiotherapeuten müssen den Schwenk vom heilen zum vermeiden nicht trauernd sondern können ihm fröhlichen Mutes entgegen sehen.
Selbst die traditionell eher dem reparierenden Verständnis von Medizin verpflichteten Ärzte haben längst erkannt, wo der Zug hinfährt. So bemerkte vor zwei Jahren Leonhard Hansen, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: „Das Hauptaugenmerk in unserem Gesundheitswesen gilt aber immer noch der Kuration mit der Folge, dass ein grobes Missverhältnis zwischen den bislang für Prävention bereitgestellten Ressourcen im Verhältnis zur kurativen Versorgung besteht. Von den rund 264 Milliarden DM Gesamtausgaben der GKV im Jahre 2000 gingen gerade mal 3 Mrd. DM in die Bereiche Früherkennungsmaßnahmen und Gesundheitsförderung. Was müssen wir tun, um dieses Missverhältnis zu beseitigen?“
Am nächsten Samstag können Sie hier den dritten Teil unserer Sommerserie lesen.
Peter Appuhn
physio.de
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Weit vorausgeschaut haben die Autoren des mittlerweile zehn Jahre alten Berufsgesetzes. Denn die Prävention ist gerade erst dabei, sich zu einer tragfähigen, eigenständigen Säule zu entwickeln. Obwohl vom Gesetzgeber gleichberechtigt – sogar an erster Stelle – neben der kurativen Medizin und Rehabilitation aufgeführt, fristet die Prävention im Regelfall bereits in den Lehrplänen der Physiotherapie-Schulen ein eher untergeordnetes Dasein. Verwunderlich ist dies nicht, spielt doch die Heilung von Krankheiten im Verständnis der Schulmedizin bis heute die erste Geige. Die Beiträge der Versicherten der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen werden fast ausschließlich für die Behandlung der vielfältigen menschlichen Leiden ausgegeben. Folgerichtig findet die praktische Berufsausübung von Physiotherapeuten überwiegend auf dem Feld der kurativen Therapie statt, sei es im Krankenhaus oder in einer Praxis.
Eher in der Nähe einer naturheilkundlichen Sichtweise angesiedelt ist das Berufsverständnis und doch hinkten Generationen von Physiotherapeuten auf einem Bein. Die Verhältnisse haben sie gezwungen, einen Teil ihres ganzheitlich orientierten Menschenbildes zu amputieren. Doch die schulmedizinischen Grundsätze beginnen zu wanken, und am Horizont zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab. Nicht unbedingt ist es tiefer Humanismus, der den Präventionsgedanken fördert, der Blick in leere Kassen zwingt zum Umdenken. Der Reparaturbetrieb Gesundheitswesen ist nicht mehr finanzierbar. Die Vorgängerin von Ulla Schmidt im Amt der Bundesgesundheitsministerin, Andrea Fischer, hat mit dem § 20 des Sozialgesetzbuches V (SGB) den Grundstein für die vierte Säule im System der gesetzlichen Krankenversicherung gelegt. Aber die konsequente Umsetzung kommt nur schleppend voran. 2002 hätten die Krankenkassen für primäre Präventionsmaßnahem und Gesundheitsförderung in Betrieben 2,62 Euro für jeden Versicherten ausgeben sollen. Tatsächlich waren es aber nur 1,64 Euro, die zur Krankheitsverhütung aufgebracht wurden. Auch die jüngste Gesundheitsreform streicht die Bedeutung der Prävention heraus. Im Juni legten Ulla Schmidt, die Landesgesundheitsminister und die Sozialversicherungsträger den Grundstein für eine Präventionsstiftung und im Herbst soll ein eigenes Präventionsgesetz auf den Weg gebracht werden.
„Lohnenswerte Investitionen zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme“ sehen Rosemarie Apitz und Stefan Winter in einer aktuellen Bestandsaufnahme zur Prävention. Produktivitätssteigerungen, und Vermeidung von Pflegebedürftigkeit in einer stetig älter werdenden Gesellschaft seien die positiven Folgen konsequenter Vorbeugungspolitik. Neben aktiv Beschäftigten und alten Menschen fokussieren die Autoren Kinder als besonders wichtige Zielgruppe: „…Investitionen müssen schon in den Lebensjahren beginnen, in denen Verhaltensmuster aufgebaut und stabilisiert werden.“
Man unterscheidet drei Präventionsgruppen. Die Primärprävention richtet sich an alle Menschen ohne eine Disposition für ein bestimmtes Schädigungsbild. Die Sekundärprävention beschäftigt sich mit denjenigen, die ein besonderes Erkrankungsrisiko haben. Bei der Tertiärprävention denkt man an Menschen, die eine akute Erkrankung überstanden haben und durch bestimmte Maßnahmen einer Chronifizierung oder erneuten Erkrankung vorbeugen können.
Der Verzahnung der verschiedenen Präventionsstufen wird in Zukunft immer mehr Bedeutung zukommen. Und hier liegt eine besondere Chance für Physiotherapeuten. Selbstbewusst und offensiv können sie ihre Fähigkeiten herausstreichen. Ausgebildet in Therapie und Prävention gibt es keine andere Berufsgruppe, die über mehr Kompetenz verfügt, die Überscheidungen der Bereiche in sinnvolle und effektive Programme umzusetzen.
Die Beschränkungen, die viele Physiotherapiepraxen gerade erleben, sind politisch gewollt. Eine deutliche Ausgabenbegrenzung soll mit den neuen Heilmittelrichtlinien erreicht werden. Dies mag man beklagen, aber der Zug ist unumkehrbar. Wir wollen das Signal aufnehmen und die ganze Variationsbreite des Physiotherapie-Kosmos ausleuchten. Noch ist der Zeitpunkt zum Handeln günstig. Gerade erleben wir ein Umsteuern in der Gesundheitslandschaft. Physiotherapeuten müssen den Schwenk vom heilen zum vermeiden nicht trauernd sondern können ihm fröhlichen Mutes entgegen sehen.
Selbst die traditionell eher dem reparierenden Verständnis von Medizin verpflichteten Ärzte haben längst erkannt, wo der Zug hinfährt. So bemerkte vor zwei Jahren Leonhard Hansen, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: „Das Hauptaugenmerk in unserem Gesundheitswesen gilt aber immer noch der Kuration mit der Folge, dass ein grobes Missverhältnis zwischen den bislang für Prävention bereitgestellten Ressourcen im Verhältnis zur kurativen Versorgung besteht. Von den rund 264 Milliarden DM Gesamtausgaben der GKV im Jahre 2000 gingen gerade mal 3 Mrd. DM in die Bereiche Früherkennungsmaßnahmen und Gesundheitsförderung. Was müssen wir tun, um dieses Missverhältnis zu beseitigen?“
Am nächsten Samstag können Sie hier den dritten Teil unserer Sommerserie lesen.
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