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Ausbildungsplatzumlage: Auch Physiotherapie-Praxen müssen zahlen
Krankenhäuser, Heime, Schulen befreit. Umsetzung des gerade verabschiedeten Gesetzes abhängig von der Ausbildungsbereitschaft der Betriebe.
11.05.2004 • 0 Kommentare

Rund eine halbe Million junger Menschen unter 25 Jahren sind arbeitslos. Im vergangenen Herbst konnten 35.000 Jugendliche, die eine Lehrstelle suchten, nicht vermittelt werden. Jahr um Jahr steigt die Zahl der Lehrstellensuchenden aufs Neue an. Wahrlich, eine Gesellschaft, die ihren Nachwuchs nicht beschäftigen kann, ist arm dran.

Die politischen Parteien haben das Problem erkannt und sind um vollmundige Erklärungen nicht verlegen. In seiner nun schon legendenumrankten Agenda-2010-Rede im März 2003 im Bundestag verkündete der Bundeskanzler kurz und bündig: „Jeder, der einen Ausbildungsplatz sucht und ausbildungsfähig ist, muss einen Ausbildungsplatz bekommen.“ Wer wollte Gerhard Schröder da widersprechen? Nur bei der Ursachenforschung scheint den Regierenden ein wenig die Realität abhanden gekommen sein. Eine Volkswirtschaft im Rückwärtsgang, Produkte, die wegen zu hoher Arbeitskosten nicht mehr verkauft werden können, Unternehmen, die deshalb ins billiger produzierende Ausland verlegt werden, eine überbordende Bürokratie, ein starres Tarifrecht und Gesetze aus der Wir-Hams-Ja-Zeit, schaffen keine neuen Ausbildungsplätze. Die Betriebe, sie können keine Kompensationsanstalten für eine jahrelang verfehlte Politik sein.

Aber genau das soll in Zukunft ihre Rolle werden. Am Freitag hat der Bundestag das Gesetz zur „Ausbildungsplatzumlage“ beschlossen. Jeder Betrieb, der mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt und keinen Ausbildungsplatz anbietet, soll eine Abgabe leisten. Sieben Prozent der Mitarbeiter aller Betriebe müssen dann Auszubildende sein, wer diese Quote nicht erfüllt, kann zahlen. Die Höhe der Umlage wird zu Beginn eines jeden Ausbildungsjahres am 1. Oktober festgelegt und soll sich an der Zahl der nicht vermittelten Jugendlichen orientieren. Von der Abgabe befreit sind Krankenhäuser, Heime und Pflegeeinrichtungen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe und der beruflichen Rehabilitation und Schulen. Physiotherapie-Praxen sind nicht von der Ausbildungs- und damit Zahlungspflicht befreit. Im Gespräch mit einem der Gesetzesautoren der SPD-Bundestagsfraktion wurde mir versichert, dass es unerheblich sei, dass Betriebe gar nicht ausbilden können, selbst, wenn sie das wollten. Zahlen müssen sie, es sei denn, sie lassen sich dazu hinreißen, ihrer Putzfrau einen Auszubildenden zuzuordnen oder neben die Anmeldekraft einen hoffnungsvollen Rezeptionsgehilfen zu setzen. „Eine echte Strafsteuer“, sieht denn auch der Präsident der „Aktionsgemeinschaft Wirtschaftlicher Mittelstand“ (AWM) in dem Gesetz, „viele Branchen können oder dürfen gar nicht in ihren Branchen ausbilden“. Von Autoschilderfirmen bis Zahntechnikern, 25 Berufsverbände gehören dem Zusammenschluss von Dienstleistungsunternehmen an.
Mit einem Auszubildenden muss ein Ausbildungsvertrag geschlossen werden, er muss sozialversichert sein und die „Ausbildung“ muss mindestens zwölf Monate dauern.

Selbst Teile der SPD, allen voran Bundeswirtschaftminister Clement, sind skeptisch, ob das neue Gesetz außer Bürokratie auch nur einen Ausbildungsplatz mehr schaffen wird. Die Ablehnung der Zwangsabgabe zieht sich quer durch alle gesellschaftlichen Bereiche. Die Befürworter geraten in Erklärungsnöte. So will die Regierung auf die Umsetzung des Gesetzes verzichten, wenn die Wirtschaft bereit ist, einen „Ausbildungspakt“ zu schließen. Sollten allerdings am 30.09. die Ausbildungsplatzsuchenden nicht genügend Stellen finden, wird das Gesetz umgesetzt. Jedes Jahr findet dann zum Stichtag eine neuerliche Prüfung statt. Arbeitgeberverbände haben bereits signalisiert, sie wollen sich nicht erpressen lassen.

Wohl selten war ein Gesetz von solch einer umfassenden Ablehnung begleitet wie die „Ausbildungsplatzumlage“. Neben den geschilderten Unsinnigkeiten und der desolaten gesamtwirtschaftlichen Situation, lenkt es auch davon ab, dass jedes Jahr 100.000 Jugendliche ohne einen Abschluss die Schule verlassen und kaum lesen, schreiben oder rechnen können. Immer mehr ehemals ausbildungswillige Unternehmen verabschieden sich deshalb von dem Gedanken, einen kaum motivierten jungen Menschen einzustellen. Ein miserables Bildungswesen (Pisa grüßt), Bürokratie und Zwänge aus dem letzten Jahrhundert – das zu ändern böte genügend Stoff für politische Kreativität. Neue Zwangsausbildungsgesetze würden sich dann von selbst erledigen.

Peter Appuhn
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