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Um 19 Prozent ist die Zahl der Arztbesuche bei Familien zurückgegangen, die über ein Einkommen unter 1.000 Euro verfügen. Bei den über 3.000 Euro und mehr Verdienenden macht sich die Zurückhaltung nur mit einem Minus von acht Prozent bemerkbar. Auffallend sei die Zunahme von Lungenerkrankungen und eine steigende Tuberkuloserate, berichtet Professor Gerhard Trabert von der Armutskonferenz. Arme lebten kürzer und der Herzinfarkt hätte sich von einer Managerkrankheit zur typischen Erkrankung von sozial Benachteiligten entwickelt.
Wer zu dem Fünftel der Gesellschaft gehört, das mit dem geringsten Einkommen auskommen muss, stirbt im Durchschnitt sieben Jahre früher als Menschen, die zum höchsten Einkommensfünftel zählen. Zu diesem erschütternden Ergebnis kommt eine Untersuchung der Medizinischen Hochschule Hannover. Menschen ohne Arbeit „fühlen sich wertlos in einer Welt, die sich nur noch über Arbeit definiert", so Trabert. Die Suizidrate sei 20-mal höher als bei Erwerbstätigen.
Auffallend ist die geringe Inanspruchnahme von Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen von Menschen mit niedrigem Sozialstatus. Besonders Kinder haben darunter zu leiden. Sie sind infektanfälliger, haben häufiger Zahnerkrankungen und psychosomatische Beschwerden. Auch die unterschiedlichen Wohnorte von Armen und Reichen zeigen nicht unerhebliche Folgen. Ärmere leben eher in verkehrsreichen Durchgangsstraßen. Ihre Kinder sterben deshalb überproportional häufig bei Verkehrsunfällen.
Die Nationale Armutskonferenz, ein Zusammenschluss von Wohlfahrtsverbänden und Selbsthilfeorganisationen, bemängelt, dass besonders die Zuzahlungsregelungen zu dem Ungleichgewicht beitragen. Ein Arbeitslosengeld-II-Bezieher mit einem Monatseinkommen von 345 Euro müsse eben auch an der Gesundheit sparen. Eine generelle Zuzahlungsbefreiung für Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II fordert deshalb die Konferenz. Immer wieder müsse auch darauf hingewiesen werden, dass alle Gesundheitsleistungen für Kinder unter 12 Jahren zuzahlungsfrei sind.
Das Bundesgesundheitsministerium weist die Untersuchungen als „Mutmaßungen“ zurück. „Es gibt kein belastbares Zahlenmaterial, dass sozial Schwache wegen der Gesundheitsreform weniger zum Arzt gehen“, so eine ministerielle Stellungnahme. Ernst scheint die Bundesregierung den Bericht aber dennoch zu nehmen. Heute wird sich die Kabinettsrunde im Kanzleramt mit den Ergebnissen des Armutsberichts beschäftigen.
Peter Appuhn
physio.de
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